closs hat geschrieben:
Wer definiert, was eine "mögliche Welt" ist? - Legt man dafür einen naturalistischen Maßstab an?
Nein, mit Naturalismus hat der Ausdruck
mögliche Welt nichts zu tun. Er stammt von Leibniz, der die von Aristoteles erfundene Modallogik weiter ausarbeitete.
Als mögliche Welt bezeichnet man eine die Logik achtende Vorstellung, wie die Realität beschaffen sein könnte – also eine logisch konsistente Gesamtheit von Vorstellungen der möglichen Sachverhalte. (Wiki-"mögliche Welt")
Zum Begriff der
möglichen Welt gelangt man über die Modallogik. Die Modallogik heißt
modal, weil sie mit den Modaloperatoren
möglich und
notwendig arbeitet.
Operatoren:
â—‡ = es ist möglich
â–¡ = es ist notwendig
¬ = non/nicht
→ = wenn ... dann ...
⊢ = ist ableitbar
â—‡p = Es ist möglich, dass p
â–¡p = Es ist notwendig, dass p
(p, q, etc. stehen als Platzhalter für normale Aussagesätze der Art: "Rahel ist 29 Jahre alt", "Jupiter ist ein Gasplanet", "Gras ist grün" usw.
â—‡p kann dann also bedeuten: Es ist möglich, das Rahel 29 Jahre alt ist. â–¡p = Es ist notwendig, dass Rahel 29 Jahre alt ist.)
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z.B.
â—‡p ist äquivalent zu: ¬□¬p (
Es ist möglich, dass p ist äquivalent zu:
Es ist nicht notwendig, dass nicht-p)
â–¡p ist äquivalent zu: ¬◇¬p (
Es ist notwendig, dass p ist äquivalent zu:
Es ist nicht möglich, dass nicht-p)
Das
Kalkül K (für
Kripke) in der Modallogik besteht z.B. aus folgendem Axiom und folgender Schlussregel:
Axiomenschma K:
□(p → q) → (□p → □q) =
Wenn es notwendig ist, dass, wenn p, dann q, dann ist q notwendig, wenn p notwendig ist.
Ableitungsregel:
⊢p so gilt auch ⊢□p =
Wenn p ableitbar ist, so ist auch: "Es ist notwendig, dass p" ableitbar.
Fügt man dem modallogischen Kalkül
K das Axiomenschema ...
p → ◇p =
Wenn p, dann ist p auch möglich
hinzu, dann erhält man das
Kalkül ⊤
Fügt man dem Kalkül
⊤ das Axiomenschema 5 hinzu, erhält man den modallogischen
Kalkül S5.
Axiomenschema
5:
◇p → □◇p =
Wenn p möglich ist, dann ist es notwendig, dass p möglich ist.
Kurt Gödel hat seinen ontologischen Gottesbeweis in diesem Kalkül S5 formuliert, der das stärkste, aber auch voraussetzungsreichste modallogische Kalkül ist.
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Die Modallogik erlaubt also logische Aussagen über Möglichkeiten und Notwendigkeiten. So kann man auf logischem Wege
mögliche Welten konstruieren, die faktisch von der unsrigen abweichen und man kann wahre Aussagen innerhalb dieser möglichen Welten treffen.
Eine Aussage ist genau dann notwendig wahr, wenn sie in allen möglichen Welten wahr ist (d.h., wenn es keine denkbare Situation gibt, in der sie falsch wäre).
So ist der Satz: "Alle Jungesellen sind unverheiratet" eine
notwendige Wahrheit a priori, denn er ist in allen möglichen Welten wahr, und man muss auf keine Erfahrung zurückgreifen, um seine Wahrheit einsehen zu können.
Der Satz: "Der Morgenstern ist der Abendstern" ist
eine notwendige Wahrheit a posteriori (= mit Rückgriff auf die Erfahrung), denn er ist in allen möglichen Welten wahr, aber man muss auf Erfahrung zurückgreifen, um wissen zu können, dass die Namen
Morgenstern und
Abendstern beide den Planeten Venus bezeichnen.
Dagegen ist die Aussage: "Closs ist ein Mann" eine
kontingent (= zufällig) wahre Aussage, denn sie ist zwar in dieser Welt wahr, aber nicht in allen möglichen Welten.
Eine
kontingent wahre Aussage a priori (= ohne Erfahrungsrückgriff) ist z.B. die Aussage: "Ich bin jetzt hier", denn wer immer diesen Satz äußert, sagt in diesem Augenblick etwas Wahres ohne dabei auf seine Erfahrung zurückgreifen zu müssen, aber er ist nur kontingent wahr, weil ich
nicht notwendigerweise jetzt genau hier bin.
Kripke hat herausgefunden, dass Namen sogenannte
starre Designatoren (starre Bezeichner) sind, das bedeutet, der Name
Aristoteles z.B. bezeichnet in allen möglichen Welten denselben Menschen, gleichgültig, ob Aristoteles in einer Welt kurze, in einer anderen möglichen Welt lange Haare hat; in der einen Welt in Stagira geboren wurde, in einer anderen möglichen Welt aber in Athen; in der einen Welt der Schüler Platons war, in einer anderen möglichen Welt aber nicht usw.
Diese Entdeckung hat jedenfalls die Diskussion um Universalien und Essenz innerhalb der analytischen Philosophie neu belebt.
closs hat geschrieben:
Unterm Strich sieht das alles für mich aus wie "Babel": Der Mensch macht sich zum Maß - "nichts ist ihm zu steil", wie Buber übersetzt.
Es ist die also lieber, wenn nicht der Mensch das Maß ist, sondern Gott ?!