Alles Teufelszeug? II

SilverBullet
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#11 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von SilverBullet » Mi 9. Mär 2016, 21:39

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben: dafür müsstest du zuerst viel mehr Details liefern
Das darf nicht von mir abhängen - das muss auch denkerisch erschließbar sein.
Deine Behauptung ist damit inhaltsleer.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:sondern eine Wahrnehmungsbeobachtung
Mit "Beobachtung" meinst Du aber eine sinnliche Beobachtung - damit ist die Katze auf den alten Füßen.
Falsch, ich beobachte hier meine Wahrnehmungsvorgänge, das ist nichts anderes als das Bewusstsein über die eigenen Mentalvorgänge.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Es sind nur Behauptungen, ohne dass Details geliefert werden
Welche Details erwartest Du von einem Christen, der Gott wahrnimmt? - Was würde es bei Dir ändern können?
Wenn jemand, so wie du, behauptet, es gäbe einen „Kontakt zu Gott“, für den die Wahrnehmungsunabhängigkeit festgestellt werden kann, dann sollte man schon liefern können, wie das denn ablaufen bzw. festgestellt werden soll. Ansonsten gerät man schnell in den Verdacht bei dem „Kontakt“ gar nicht dabei gewesen zu sein.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Wenn ich es richtig verstanden habe, wurde im Mittelalter dafür gesorgt, dass die einfachen Leute dem Weltbild-Verständnis der Mächtigen folgen.
Das ist eine Ausrede
Wer war denn im Mittelalter sehr mächtig?
Wieso gab es im Mittelalter die „Gottesgerichte“?
Welche „geistig“ begabten Nicht-Gläubigen bekamen sehr warme Fusssohlen für ihr „Geist“-Verständnis und warum?

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Nein, „phänomenal“, also rein über die "bautechnisch" festgelegten Wahrnehmungsfähigkeiten.
Aber unter "bautechnisch" subsummierst Du lediglich naturalistische Wahrnehmung.
Nein, wie ich schon mehrmals geschrieben habe, bedeutet „bautechnisch“ je nach Weltbild z.B. „evolutionsbedingt“ oder „erschaffen“.

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#12 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Mi 9. Mär 2016, 22:11

Thaddäus hat geschrieben:In allen Kulturen setzen sich die Menschen mit dem Tod auseinander. Warum? Weil jeder Mensch sterben muss und er weiß, dass er sterben muss und jederzeit sterben kann.
Eben - das meine ich mit "Urbildern".

Um es vorweg zu nehmen: In Deinem im Folgenden behandelten Text kann ich gar nicht so viel Unterschiede zu meinen Aussagen erkennen - aber Du interpretierst ganz anders.

Thaddäus hat geschrieben:Jede Kultur bringt geistige Erzeugnisse hervor und die sind genau so zu verstehen, wie sie hervorgebracht werden.
Historisch-kritisch/inner-kulturell ist das richtig - für ein umfassendes Verständnis ist es zu wenig.

Thaddäus hat geschrieben:Wie gesagt verwechselst du da die Entwicklungs-Richtung.
Du missverstehst - darum geht es gar nicht. - Niemand würde sich erblöden, ein hunderte Jahre später eintretendes Ereignis als unrsächlich anzusehen.

Thaddäus hat geschrieben:Der sich selbst überhebende Mensch mag ein relevantes Thema im Christentum sein, aber es ist kein christliches Grundmotiv.
Es ist ein Urbild, das innerhalb des Christentums eine große Rolle spielt. - Weder hat da Christentum die Erlösung, noch das Griechentum den nous er-funden - sie haben beides ge-funden - mit anderen Worten: Es war "vorher" schon da.

Vielleicht steckt das Missverständnis darin, dass Du historische Vorgänge als Er-Finder von Kultur verstehst - ich verstehe historische Vorgänge als Umsetzung von Urbildern in gesellschaftliche Wirklichkeit.

Thaddäus hat geschrieben:Man findet es bereits bei Prometheus und Sisyphos
Eben - Urbild. - Wahrscheinlich wird man irgendwann chinesische Rollen finden, in denen dasselbe steht (wenn es nicht schon gefunden ist).

Thaddäus hat geschrieben:wobei diese Helden - ganz anders als die Hiob Figur - die Götter nicht nur missachten, sondern sie sogar noch überlisten.
Eben - und hier sind wir genau bei "meiner" Frage: Wie verarbeiten unterschiedliche Kulturen dieselben Urbilder?

Und da könnte man - sehr verkürzt - zum Ergebnis kommen, dass die griechische Kultur mehr in die Richtung dessen geht, was man heute säkular unter "Aufklärung" versteht, während die hebräische Kultur mehr in die Richtung "spirituelle Aufklärung" geht. - Dies wird man dann je nach eigener Weltanschauung so oder so bewerten.

Thaddäus hat geschrieben:Es gibt narrative archetypische Grundmotive, archetypische Figurenfunktionen und archetypische Grundstrukturen (C.G. Jung, Jospeh Campbell, Vladimir Jakowlevič Propp, Christopher Vogler), die in allen Kulturen zu finden sind.
Vielen Dank. :)

Thaddäus hat geschrieben:Dieses Bild aus dem Fim, das die Figuren Ripley und Newt zeigt (und Ripley hat Newt in ihrer Abenteuerfahrt als Tochter adoptiert), lehnt sich nicht etwa an das christliche Motiv der Maria mit dem Jesuskind an, sondern beide sind künstlerische Ausrucksformen des viel älteren Archetyps der Mutter mit ihrem Kind.
Selbstverständlich - jetzt sind wir auf einer Linie.

Thaddäus hat geschrieben:Da muss ich dich vermutlich enttäuschen. Der Papst erfüllt lediglich eine archetypische Figurenfunktion, nämlich die des Mentors. Der Archetyp des Mentors zeichnet sich dadurch aus, dass er Zugang zu spirituellem Wissen hat.
Da enttäuscht Du mich nicht, sondern Du findest hier meine Zustimmung. - Das meine ich doch mit "universal".

Möglicherweise besteht unser Missverständnis darin, dass Du Christentum als historische Größe siehst, währenddem ich es als universale Ausdrucksform verstehe. - Und es gibt Gründe, die hier zu weit führen, dass das Christentum eine besonders gut durchdachte bzw. besonders gut inspirierte Ausdrucksform des Universalen ist. - Trotzdem: Auch das Christentum ist nur Chiffre - also das, wodurch Transzendenz vermittelt wird (Japers - wobei hier zu diskutieren wäre, ob man mit einer philosophishen Transzendenz eine theologische Transzendenz verdrängen kann - anderes Thema).

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#13 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Mi 9. Mär 2016, 22:17

SilverBullet hat geschrieben:ich beobachte hier meine Wahrnehmungsvorgänge, das ist nichts anderes als das Bewusstsein über die eigenen Mentalvorgänge.
Ein daran interessierter Gott-Gläubige kann dies porblemlos auf seine Got-Wahrnehmung übertragen.

SilverBullet hat geschrieben:Wenn jemand, so wie du, behauptet, es gäbe einen „Kontakt zu Gott“, für den die Wahrnehmungsunabhängigkeit festgestellt werden kann, dann sollte man schon liefern können, wie das denn ablaufen bzw. festgestellt werden soll.
Wie es methodisch zu Deiner Zufriedenheit umgesetzt werden kann, weiss ich nicht. - Ich kann Dir nur sagen, dass es in der Wirklichkeit funktioniert.

SilverBullet hat geschrieben:Wer war denn im Mittelalter sehr mächtig?
Hier lautet die Frage, ob die Menschen damals spirituell wahrgenommen haben - wenn ja, dann sicherlich nicht in Abhängigkeit von Herrschern.

SilverBullet hat geschrieben:wie ich schon mehrmals geschrieben habe, bedeutet „bautechnisch“ je nach Weltbild z.B. „evolutionsbedingt“ oder „erschaffen“.
Haja - und offensichtlich ist es bautechnisch vorgesehen, dass Menschen Gott im Dasein subjektiv erkennen können.

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#14 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Thaddäus » Do 10. Mär 2016, 08:13

closs hat geschrieben:Oder nimm ein ganz einfaches konkretes Beispiel: Achilles und Siegfried.
[...]
Trotzdem behandelt beide in Achilles und Siegfried das christlich sehr relevante Motiv des sich selbst-überhebenden Menschen, der glaubt, unverletzlich zu sein (nicht moralisch gemeint).
Oder meintest du die rein körperliche Unverletzlichkeit gegenüber Waffen, die Siegfried durch das Bad im Blut des Drachen Fafnir erhält? Das gibt es als mythisch-abergläubisches Motiv in manchen mythischen Narrationen. Es findet sich aber nicht bei Achilles, der nicht unverwundbar ist, sondern wegen seiner überlegenen Kampftechnik als bester Krieger des Altertums galt. Achilles kämpft allein für den Ruhm, und getötet wird er bekanntlich durch einen Pfeilschuss in seine Verse.
Im Film Troja (Wolfgang Petersen, USA 2004) hat man versucht, diese überlegene Kampftechnik darzustellen.



closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:In allen Kulturen setzen sich die Menschen mit dem Tod auseinander. Warum? Weil jeder Mensch sterben muss und er weiß, dass er sterben muss und jederzeit sterben kann.
Eben - das meine ich mit "Urbildern".
Wenn du nach Urbildern suchst, musst du C.G. Jung lesen (Archetypen), um die pschologische Seite zu verstehen und Joseph Campbell, um die mythologische Seite zu verstehen (Der Heros in tausend Gestalten).

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Jede Kultur bringt geistige Erzeugnisse hervor und die sind genau so zu verstehen, wie sie hervorgebracht werden.
Historisch-kritisch/inner-kulturell ist das richtig - für ein umfassendes Verständnis ist es zu wenig.
Welches umfassende Verständnis? Es gibt kein Verständnis von kulturellen Erzeugnissen von einem selbst nicht-kulturellen Verständnis aus. Das ist prinzipiell unmöglich.

closs hat geschrieben:Es ist ein Urbild, das innerhalb des Christentums eine große Rolle spielt. - Weder hat das Christentum die Erlösung, noch das Griechentum den nous er-funden - sie haben beides ge-funden - mit anderen Worten: Es war "vorher" schon da.
"Erlösung" gibt es als psychologisch-archetypisches Motiv vermutlich schon so lange, wie Menschen um Lagerfeuer saßen und sich Geschichten erzählten. Erlöst wird von der Angst (psychologisch) und die Welt und der Kosmos (= das Geordnete) von zerstörerischen mythischen Kräften (Mythos). Im Christentum ist das der Teufel, der von Christus besiegt wird, bei den Babyloniern ist es der Chaos-Drache Tiamat, den der Held Marduk tötet. Und in Stirb langsam befreit Bruce Willis die Welt vom Bösen. Strukturell unterscheiden sich Jesus Christus, Marduk und Bruce Willis als John McClane nicht, allenfalls inhaltlich in ihren "Lehren". ;)

Der Nous ist bei den Griechen das vernünftige Grundrinzip des Kosmos. Den haben allein die Griechen erfunden und war so vorher nicht da, auch nicht als platonische Idee.

closs hat geschrieben:Vielleicht steckt das Missverständnis darin, dass Du historische Vorgänge als Er-Finder von Kultur verstehst - ich verstehe historische Vorgänge als Umsetzung von Urbildern in gesellschaftliche Wirklichkeit.
Wenn es Archetypen gibt, dann hat das einen psychologischen Grund. Wie sie sich in Kulturen als konkrete Kulturerzeugnisse zeigen, wird immer wieder neu er-funden (so einmal als Maria mit Jesus im Arm und ein andermal eben als Figur Ripley mit Newt im Arm in einem Film von James Cameron). Ich denke, du nimmst hier eine psychologische Disposition des Menschen als eine Art platonischer Idee.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:wobei diese Helden - ganz anders als die Hiob Figur - die Götter nicht nur missachten, sondern sie sogar noch überlisten.
Eben - und hier sind wir genau bei "meiner" Frage: Wie verarbeiten unterschiedliche Kulturen dieselben Urbilder?
Missverständnis! Diese archetypischen Ur-Bilder bzw. Strukturen liegen nicht als eingepflanzte "Bilder" in der Seele vor. Wenn Menschen immer wieder die Erfahrung machen, dass die (bzw. das Bild der) Mutter mit ihrem Kind sie tief anrührt, dann schaffen sie Kunst-Werke (Erzählungen, Bilder, Skulpturen, Filme usw.), in denen dieses Motiv künstlerisch verarbeitet ist.

Bild entfernt (fehlender Quellenangabe) - Pluto

closs hat geschrieben: Möglicherweise besteht unser Missverständnis darin, dass Du Christentum als historische Größe siehst, währenddem ich es als universale Ausdrucksform verstehe.
Dann müsstest du erklären, was das Universale am Christentum genau sein soll? Die psychologische Disposition des Menschen, archetypische Bilder bzw. Kunst hervorzubringen (unter anderem auch in Form christlicher Erzählungen und Kunst) ist universal in dem Sinne, dass alle Menschen eine psychische Disposition haben, Archetypen hervorzubringen bzw. dass Archetypen bei jedem Menschen grundsätzlich wirken (sie erzeugen unmittelbare Gefühlsregungen), wiewohl nicht in der gleichen Intensität). Das Christentum ist dieser psychischen Universalität (weil alle Menschen eine Psyche haben) untergeordnet. Insofern kann das Christentum so wenig universal sein, wie der muslimische Glaube, der Hinduismus, der Buddhismus oder irgendwelche anderen "Lehren".

closs hat geschrieben: Und es gibt Gründe, die hier zu weit führen, dass das Christentum eine besonders gut durchdachte bzw. besonders gut inspirierte Ausdrucksform des Universalen ist.
Auf genau diese Gründe kommt es aber an, wenn du deine These plausibel machen willst. (Ich glaube nicht, dass das möglich ist.)

closs hat geschrieben: Trotzdem: Auch das Christentum ist nur Chiffre - also das, wodurch Transzendenz vermittelt wird (Japers - wobei hier zu diskutieren wäre, ob man mit einer philosophishen Transzendenz eine theologische Transzendenz verdrängen kann - anderes Thema).
Wie an anderer Stelle schon gesagt, sind Chiffren der Transzendenz bei Jaspers vor allem abolute Grenzerfahrungen des Menschen, in denen er vor allem seine eigene Hilflosigkeit gegenüber einem Ereignis spürt, das auf irgendeine Weise so gewaltig ist, dass er es nicht fassen kann. Das kann auch ein Ereignis eigenen Schuldiggewordenseins sein, wie z.B. aus Versehen viele Menschen zu töten, wie es diesem Bahnvorsteher passiert ist, wegen dessen Fehlers zwei Züge ineinander gefahren sind mit 10 Toten.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Do 10. Mär 2016, 10:28, insgesamt 2-mal geändert.

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#15 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Do 10. Mär 2016, 09:05

Thaddäus hat geschrieben: Es findet sich aber nicht bei Achilles, der nicht unverwundbar ist, sondern wegen seiner überlegenen Kampftechnik als bester Krieger des Altertums galt.
NEIN - AChilles war nur an der Ferse VERWUNDBAR - so wie Siegfried nur an der Stelle des Lindenblattes verwundbar war. - Da ist exakt dasselbe.

Thaddäus hat geschrieben: getötet wird er bekanntlich durch einen Pfeilschuss in seine Verse.
Eben - die Stelle des Lindenblattes.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn du nach Urbildern suchst, musst du C.G. Jung lesen (Archetypen)
Erstens habe ich das irgendwann, zweitens ist es nicht nötig, weil Jung diese Sache nicht erfunden, sondern aufgegriffen hat wik):
"Der Begriff Archetyp oder Archetypus (von altgriechisch ἀρχή arché ‚Beginn‘, ‚Anfang‘ und τύπος typos‚ ‚Vorbild‘, ‚Skizze‘) verweist in der philosophischen Verwendung zuerst auf Platon und seinen Begriff der Idee, der damit die metaphysische Wesenheit meint, an der die sinnlich wahrnehmbaren Dinge teilhaben".

Ob man "Archestyp" psychologisch oder ontologisch behandelt, ist reine Perspektiven-Sache.

Thaddäus hat geschrieben:Welches umfassende Verständnis? E
Ein Verständnis, der "Kultur" nicht nur als historische Größe, sondern als archetypisch verankerte Größe versteht. - Natürlich fließt dabei immer die Couleur der eigenen Epoche ein. - Fichte hat einmal sinngemäß gemeint, dass die Frage, ob seine Philosophie modern sei, geantwortet, dies sei so, als würde man einen Mathematiker fragen, ob sein Kreis gelb sei.

Thaddäus hat geschrieben:"Erlösung" gibt es als psychologisch-archetypisches Motiv vermutlich schon so lange, wie Menschen um Lagerfeuer saßen und sich Geschichten erzählten.
Eben - genau das haben Archetypen so an sich.

Thaddäus hat geschrieben:Der Nous ist bei den Griechen das vernünftige Grundrinzip des Kosmos. Den haben allein die Griechen erfunden und war so vorher nicht da
Da habe ich mich möglicherweise wirklich zu korrigieren, da "nous" gerade NICHT archetypisch ist - siehe "Prometheus" von Goethe:

"Hier sitz' ich <Prometheus, "Übermensch">, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein <Gott, Zeus> nicht zu achten,
Wie ich!"

Der Mensch ohne Achilles-Verse, Lindenblatt und Archetypen - im AT wird dieses Motiv in der Babel-Geschichte angeschnitten ("nichts war ihnen <den Menschen> zu steil").

Thaddäus hat geschrieben:Ich denke, du nimmst hier ein psychologische Disposition des Menschen als eine Art platonischer Idee.
Aus Deiner Sicht, ja. - Aus meiner Sicht ist umgekehrt die psychologische Disposition eine Variante einer ontologischen ("Ideen") Disposition. - Wer ist der Hund, wer i9st der SChwanz?

Thaddäus hat geschrieben:Diese archetypischen Ur-Bilder bzw. Strukturen liegen nicht als eingepflanzte "Bilder" in der Seele vor.
Wieso nicht? - Worauf denn dann begründet sich Kunst, wenn ein Bild "Mutter mit Kind" anrührt?

Thaddäus hat geschrieben:Die psychologische Disposition des Menschen, archetypische Bilder bzw. Kunst hervorzubringen (unter anderem auch in Form christlicher Erzählungen und Kunst) ist universal.
Wenn man sie in Ableitung von Urbildern/Ideen interpretiert, ja. - Aber doch nicht ohne Fundament.

Thaddäus hat geschrieben: Insofern kann das Christentum so wenig universal sein, wie der muslimische Glaube, der Hinduismus, der Buddhismus oder irgendwelche anderen "Lehren".
Alle können an bestimmten Stellen universal sein - und sind es auch. - Der Punkt: Sie können mehr oder weniger un-universal durchsetzt sein.

Thaddäus hat geschrieben:Dann müsstest du erklären, was das Universale am Christentum genau sein soll?
Das wäre abendfüllend - deshalb etwas in MEINEM Sprachgebrauch (nicht dass wieder die Entgegnung kommt, da und da würde ein Begriff aber anders verwendet ...):

Es gibt nach meiner Kenntnis keine Religion, in der die vom Menschen unaufhebbare ontologische Differenz zwischen Gott und Mensch/Ist und Soll/Wahrnehmung und Sein aktiv durch Gott aufgehoben wird.

Thaddäus hat geschrieben:Auf genau diese Gründe kommt es aber an, wenn du deine These plausibel machen willst.
Habe ich soeben "kryptisch" ;) versucht.

Thaddäus hat geschrieben:sind Chiffren der Transzendenz bei Jaspers vor allem abolute Grenzerfahrungen des Menschen
Deshalb vorauseilend meine vor Dir vielleicht überlesene Anmerkung, dass sich hier philosophisches und theologisches Verständnis entgegenstehen können. - Rein gefühlsmäßig kommt es mir so vor, dass Jaspers hier die Transzendenz psychologisch verortet (was nach wie vor eigentlich primär gar nicht geht), um deren Notwendigkeit irgendwie in materialistischen Zeiten Rechnung zu tragen.

Unabhängig davon:
Jaspers drückt damit etwas aus, was theologisch derart den Nagel auf den Kopf trifft, dass es - wieder mal - kein Zufall sein kann. - Ich behaupte also nicht unbedingt, im Sinne Jaspers' zu sprechen, übernehme aber seinen Gedanken gerne, weil er zutiefst transzendent-mystisch ist.

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Savonlinna
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#16 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Do 10. Mär 2016, 09:35

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Allerdings will closs noch mehr: er will aufzeigen, dass hinter allem ewige Ideen stehen.
Genau richtig analysiert.
Savonlinna hat geschrieben:So, als sei dieser Ton, den man da gerade auf dem Klavier anschlägt, oder den man hört, schon immer dagewesen.
Sehr fein verstanden. :thumbup: - Das sind übrigens "Ideen".

Wenn wir uns da verstehen, dann kann ich es vielleicht wagen, einen Schritt weiter zu gehen:
dieser Ton ist "konkret". Du stimmst mir darin zu, dass das Gefühl entstehen kann, dass dieser Ton schon immer dagewesen sei. Und dies, sagst Du, seien "Ideen".

Ich kann jetzt nur von mir reden, aber dem liegen jahrzehntelange Beobachtungen zugrunde:
etwas muss "konkret" sein, und zwar sehr, sehr konkret, um darin das wahrzunehmen, was das Zeitliche durchstößt. ->

Das ist eine meiner zentralsten Grunderkenntnisse. Ich habe es an den größten Künstlern beobachtet, und es wird bei Stanislawski - dem großen, vielleicht dem größten, Theaterpädagogen der Welt immer wieder betont:

nur im elementar Konkreten kann hohe Kunst entstehen. Niemals kann es "im Allgemeinen" entstehen. Nur der Dilettant ist "allgemein". Er schlägt mit der Hand auf die Brust, wenn er ausdrücken will: "Ich liebe dich". Das ist Dilettantismus, und daraus entsteht nur Kitsch und Unechtheit.
Der große Künstler hingegen zeigt konkret auf, was es heißt, zu lieben. Er durchstößt das Unechte und zeigt den nackten puren Augenblick; nur der ist lebendig. Und wenn es gelingt, diesen nackten Augenblick zu erfassen, dann - und nur dann - durchstößt er das Zeitliche.

Auf der Bühne ist das deutlich sichtbar. Ich höre den Unterschied auch in der Musik. Wenn jemand "allgemein" spielt, dann plätschert er über alle Untiefen hinweg, er perlt da irgendwas hin. Man kann dabei zwar in Trance geraten oder gar in Rausch, aber es ist allgemeines Geräuscherzeugen, das die Nerven bedient und einlullt, aber nicht durch vollkommene Exaktheit den Moment durchstößt.

Ich merke das auch beim Schreiben. Wenn es stockt, dann fast immer, weil ich ins Allgemeine gerutscht bin. Dann habe ich den Adriane-Faden verloren, den existentiellen Faden sozusagen. Dann muss ich wieder zurück zu der Stelle, wo ich ins Allgemeine abgerutscht bin und ab dort wieder konkret werden
Echte Kunst tut weh. Wenn man den Schmerz meiden will, dann darf man allgemein werden. Aber um den Preis, dass man unbedeutend ist.
Nur das Konkrete tut weh. Das Blubbern tut nicht weh.

Schauspieler, die ganz großen, sind in ihren großen Momenten voll präsent, vollkommen konkret im Gestalten des Augenblicks.
DAS macht sie archetypisch. Das Archetypische ist nichts Allgemeines, sondern nur sichtbar mittels der konkreten Exaktheit.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Aber mir scheint, dass es genau umgekehrt ist: nur die Wahrnehmung ermöglicht es, jenseits der ratio diese Aufhebung der Logik - des tertium non datur - zu erfassen. Nur durch Wahrnehmung kann das, was closs als göttlich oder als Attribut Gottes bezeichnet, verstanden werden.
Da würde ich wirklich nicht widersprechen.

Meine spitzen Finger kommen woanders her: Irgendein Wissenschaftler hat hier (oder woanders?) gesagt, dass sich Erkenntnis-Theorie (Wahrnehmungs-Psychologie ist doch ein Teil davon - oder?) lediglich um sinnliche bzw. neurowissenschaftlich identifizierbare Wahrnehmung kümmere.

Wenn dies so wäre, wäre sie in der Tat KEIN Ansprechpartner für mich, weil es dann wirklich wieder aufs Anthropozentrisch-Atheistische hinausliefe. - Genau das aber wären die falschen Voraussetzungen - dann bräuchte man erst gar nicht anzufangen.
Das klingt jetzt tatsächlich ganz anders als das, was ich sonst immer vernommen habe.
Ich habe ja niemals diese Position vertreten. Ich habe immer nur das zu vermitteln versucht, worin Du oben ja nun übereinstimmst.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Und dann macht er DEN Grundfehler seines Lebens: er will das mit rational-logischen Methoden beweisen oder plausibel machen.
Das ist interessant (vielleicht hast Du ja recht). - Willst Du damit sagen, dass der Vergleich von Urbildern über verschiedene Kulturen zum Scheitern verurteilt ist?
Weiß ich nicht. Das wäre jetzt ein anderes Thema.
Wenn die Idee - nach Deinen obigen Worten - im angeschlagenen Ton hörbar ist, dann hat das erst mal nichts mit einem Urbild zu tun. ->

Wenn ich C.G.Jung glauben darf, dann kann das Unterbewusste - in dem der Traum zum Beispiel sich äußert - nicht unterscheiden, ob etwas Vergangenheit oder Zukunft ist. Dieses Nacheinander scheint das Unterbewusste nicht zu kennen.
Insofern wäre das Konkrete und die Idee kein Nacheinander, sondern gleichzeitig bzw. einfach nur strukturell.

Es ist verdammt schwer auszudrücken, aber ich denke, es ist jedem künstlerisch Tätigen bekannt.
Weiteres dazu vielleicht später, Thaddäus hat dazu viel geschrieben, da werde ich vielleicht noch anknüpfen.

Ach, und noch etwas: nach C.G.Jung kann das Unterbewusste auch nicht zwischen Sterben und Geborenwerden unterscheiden. :Herz:
Es hat für beides die gleichen Symbole.

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#17 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Do 10. Mär 2016, 10:10

Savonlinna hat geschrieben:etwas muss "konkret" sein, und zwar sehr, sehr konkret, um darin das wahrzunehmen, was das Zeitliche durchstößt.
Ja.

Savonlinna hat geschrieben: Das Archetypische ist nichts Allgemeines, sondern nur sichtbar mittels der konkreten Exaktheit.
Da sprichst Du einen wahren und wunden Punkt an: Den Unterschied zwischen Erkennen und Erleben.

Das Problem:
Das geistige Erkennen ist oft reiner, kann aber fern sein - das erlebende Erkennen ist oft kontaminiert, aber nah. - Zumindest ist dies meine persönliche Erfahrung. - Den Weg vom geistigen Erkennen ins erlebende Erkennen zu gehen, kann schwierig. - Denn wenn man in die Praxis geht, gibt es viel unwahres Erleben rumedum, dem man sich schlecht entziehen kann. - Ich kann Dir folgen.

Nochwas:
Mein Bestehen auf ontologisch saubere Grundlagen hängt damit zusammen, dass ein falsches Fundament zu falschem Erleben führt.

Savonlinna hat geschrieben:DAS macht sie archetypisch. Das Archetypische ist nichts Allgemeines, sondern nur sichtbar mittels der konkreten Exaktheit.
Wie würdest Du das Konkrete nennen, das auf Erkenntnis-Abwegen ist? - Läppisches Beispiel: "Ich habe eine Leidenschaft für meinen BMW".

Savonlinna hat geschrieben:Wenn ich C.G.Jung glauben darf, dann kann das Unterbewusste - in dem der Traum zum Beispiel sich äußert - nicht unterscheiden, ob etwas Vergangenheit oder Zukunft ist.
Diesen Satz kannte ich nicht - aber er ist sehr gut. - Das Wahre ist über der Zeit und wird nur in der Zeit offenbart.

Savonlinna hat geschrieben: nach C.G.Jung kann das Unterbewusste auch nicht zwischen Sterben und Geborenwerden unterscheiden.
Klingt ebenfalls gut - schließlich ist beides dasselbe nur in umgekehrter Richtung.

Aber spätestens hier ist der Punkt, an dem man Psychologie nicht mehr von Transzendenz trennen kann.

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#18 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Thaddäus » Do 10. Mär 2016, 10:40

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Es findet sich aber nicht bei Achilles, der nicht unverwundbar ist, sondern wegen seiner überlegenen Kampftechnik als bester Krieger des Altertums galt.
NEIN - Achilles war nur an der Ferse VERWUNDBAR - so wie Siegfried nur an der Stelle des Lindenblattes verwundbar war. - Da ist exakt dasselbe.
Das stimmt nach einigen märchenhaften Überlieferungen zu Achilleus. Ich habe an Homers Ilias (ca. 800 v. Chr.) gedacht, wo dieses Motiv nicht vorkommt. Laut Wiki ist es erst ab dem 1. nachchristlichen Jahrhundert belegt.
Das Motiv der Ferse als einzige verwundbare Stelle an Achilleus’ Körper begegnet zuerst im ersten Jahrhundert n. Chr. bei Statius. Ihm zufolge tauchte Thetis Achilleus in die Wasser des Styx, den Fluss der Unterwelt, wobei sie ihn an der Ferse festhielt. Auf diese Weise wurde er unverwundbar, außer an der Ferse, an der seine Mutter ihn hielt. Daher stammt der noch heute übliche Ausdruck „Achillesferse“, der eine „verwundbare Stelle“, einen „sensiblen Punkt“ bezeichnet. Wenig später erwähnt Hyginus ausdrücklich den Knöchel, den Apollon mit seinem Pfeil durchbohrt, als einzige verwundbare Stelle. Allerdings stellen bereits vier Vasen aus der Archaik und vom Beginn der Klassischen Epoche dar, wie Paris einen Pfeil in Richtung des Unterleibs des Achilleus abschießt oder zeigen sogar den toten Achilleus mit einem Pfeil in seinem Fuß. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Überlieferung der „Achillesferse“ bereits in der griechischen Antike bekannt war. Schließlich sprechen alle Autoren – mit Ausnahme des Mythographus Vaticanus, der von der planta, der Fußsohle, spricht – vom Knöchel (lateinisch talus, altgriechisch σφυρόν (sphyrón)), aber das Wort talus ändert seine Bedeutung über das französische talon (Ferse).

Trotz der Variantenvielfalt erwähnt die Ilias bei der Geburt des Achilleus keine davon, und es existiert im Homer-Epos kein Hinweis darauf, dass Achilleus körperlich unempfindlich wäre. In der Posthomerika des Quintus von Smyrna wird er vom äthiopischen Prinzen Memnon verwundet. Übrigens ist Achilleus nicht der einzige berühmte (fast) unverwundbare griechische Held: Die spätere Überlieferung spricht diesen Vorzug auch Ajax dem Großen zu.

[aus Wiki zum Stichwort "Achilles"]

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#19 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Do 10. Mär 2016, 10:56

Thaddäus hat geschrieben: Ich habe an Homers Ilias (ca. 800 v. Chr.) gedacht, wo dieses Motiv nicht vorkommt.
Das hieße, dass dieses Urbild im Original nicht thematisiert ist - DANN sind Siegfried und Achilles in der Tat NICHT vergleichbar.

Jetzt wäre es eine klassische historisch-kritische Aufgabe zu prüfen, ob diese Quelle im 1. nachchristlichen Jahrhundert eine ganz neue Erfindung ist oder selber auf ältere Quellen zurück greiftinteressante Frage (DAFÜR ist HKM da).

Bleibt die Quellenlage so, wie von Dir zitiert, würde man unterscheiden müssen zwischen:
* Achilles und Siegfried sind laut Ilias NICHT archetypisch verwandt.
* Achilles und Siegfried sind laut Quelle des 1. Jh.n.Chr. archetypisch verwandt.

Beide Versionen würden zu jeweils substantiellen Interpretationen führen (auch hier wieder: HKM IST nicht Interpretation, sondern ist Voraussetzung für Interpretation).

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#20 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Do 10. Mär 2016, 11:04

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Wenn du nach Urbildern suchst, musst du C.G. Jung lesen (Archetypen)
Erstens habe ich das irgendwann, zweitens ist es nicht nötig, weil Jung diese Sache nicht erfunden, sondern aufgegriffen hat wik):
C.G.Jung hat diese Archetypen in den Träumen seiner Patienten entdeckt.
Er hat erst danach die Struktur dieser Archetypen in den alten Mythen wiedergefunden. Er hat darüber dickleibige Bücher geschrieben, die ich vor Jahrzehnten sehr genau durchgelesen habe.

Woher es kommt, dass wir in diesen Bildern träumen, ist interessant, aber nicht durch Spekulation ergründbar.
Inzwischen ist aufzeigbar, dass auch neue Mythen geträumt werden, also solche, die unsere Kultur neu geschaffen hat und vom Unterbewusstsein offenbar als "mythisch tauglich" befunden wurde. :D
So sind abstürzende Lifts und nie abfahrende Züge ein beliebtes mythisches Motiv für die Herren Träume; aber auch fremde Häuser, leere Plätze.
Im Übrigen auch Bahnhöfe. Demnächst wohl auch im All herumschwirrende Raumstationen.

Nach meinem Dafürhalten gehen wir Menschen durch die Gegend, und unser stets uns begleitendes Unterbewusstes übersetzt alles und jeses automatisch ins Mythische.
Man staunt, was da alles abgespeichert wurde und in den Träumen als Symbol wieder auftritt.
Ich halte es also für hochwahrscheinlich, dass eine Schicht in uns grundsätzlich alles mythisch wahrnimmt.

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