Rationalität und christlicher Glaube

Rund um Bibel und Glaube
ThomasM
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#1 Rationalität und christlicher Glaube

Beitrag von ThomasM » Mi 7. Mär 2018, 11:06

Ein sehr allgemeines Thema mache ich hier auf. Ich möchte zuerst einmal sagen, wie ich darauf komme. Helmuth hat in einem parallelen thread zu der Interpretation einer biblischen Stelle in der Schöpfungsgeschichte folgendes geschrieben
Helmuth hat geschrieben: Da ist keine Symbolik, es ist vielmehr eine geistliche Sichtweise notwendig, um die Realtät dahinter zu erkennen. Dazu gibt Gott Heilign Geist. Ich gehe jetzt nicht so weit,wie ich es in gewissen charismatischen Kreisen erlebt habe, dass sie an jeder Star?enecke die Dämonen auf den Menschen sehen können, wie sie auf ihnen herumreiten, dennoch musst dir mehr mal die echten Visionen Gottes besser durchlesen, wie sie die Propheten erhalten haben.

Man kann es nicht verstehem wenn es einem Gott nicht offenbart, aber man kann es verstehen wollen. Das tue ich. Nur dieses eine Wort: "Bei Gott ist kein Ding unmöglich."
Das hat bei mir die folgenden Fragen getriggert
- Ist Rationalität grundsätzlich unchristlich und falsch?
- Wenn nicht, wo verläuft die Grenze. Was ist rational begründbar, was nicht?
- Wenn etwas nicht rational begründbar ist, warum nicht? Wie begründet man es dann?

Allen sollte klar sein, dass die Meinung von mir und Helmuth hier ziemlich weit auseinandergehen. Für mich als studierter Physiker hat Rationalität einen wesentlich höheren Stellenwert als Helmut, der immer mehr lernt, Rationalität negativ zu sehen. Aber auch ich weiß, dass Rationalität nur einen Teil der Wirklichkeit erfassen kann, nicht alles (was Pluto vermutlich anders sehen würde)

Trotzdem frage ich mich, warum Helmuth nicht so weit geht, wie die gewissen charismatischen Kreise.

Vielleicht gelingt es ja einigen hier, eine sachliche Begründung ihrer Ansicht zu diesem Thema einzubringen.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

Pluto
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#2 Re: Rationalität und christlicher Glaube

Beitrag von Pluto » Mi 7. Mär 2018, 11:25

ThomasM hat geschrieben:Allen sollte klar sein, dass die Meinung von mir und Helmuth hier ziemlich weit auseinandergehen. Für mich als studierter Physiker hat Rationalität einen wesentlich höheren Stellenwert als Helmut, der immer mehr lernt, Rationalität negativ zu sehen. Aber auch ich weiß, dass Rationalität nur einen Teil der Wirklichkeit erfassen kann, nicht alles (was Pluto vermutlich anders sehen würde)
Seit einiger Zeit befasse ich mich mit den Theoremen des Thomas Bayes. Bayessche Wahrscheinlichkeiten messen den Grad unserer Überzeugungen.
Das bedeutet, dass alles was wir erkennen, keine gesicherte Erkenntnis darstellt, sonder immer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit behaftet ist.
Selbst das die Sonne morgen aufgeht, ist nicht sicher: Es könnte sich ein schwarzes Loch ins Sonnensystem verirren, und die Erde in die Weiten des Weltalls katapultieren.

Meine Schlussfolgerung: Rationalität ist gut. Unsicherheit in der Sache ist besser.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Solivagus
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#3 Re: Rationalität und christlicher Glaube

Beitrag von Solivagus » Mi 7. Mär 2018, 12:16

Hallo Thomas,

ThomasM hat geschrieben:- Ist Rationalität grundsätzlich unchristlich und falsch?

nein!

ThomasM hat geschrieben:- Wenn nicht, wo verläuft die Grenze. Was ist rational begründbar, was nicht?

Ganz allgemein, kontingente und notwendige Entitäten (vgl. Kontingenz).

ThomasM hat geschrieben:- Wenn etwas nicht rational begründbar ist, warum nicht? Wie begründet man es dann?

Bspw. über logische Grundsätze wie dem Satz der Identität oder dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch (vgl. Denkgesetze).
"Du kannst ganz unmöglich nicht sein, denn Du bist aus Dir selbst Notwendigsein."
(Duns Scotus, Tractatus de primo principio, 91, Übs. W. Kluxen)
The Ontological Argument (engl.)

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#4 Re: Rationalität und christlicher Glaube

Beitrag von Pluto » Mi 7. Mär 2018, 12:30

Solivagus hat geschrieben:
ThomasM hat geschrieben:- Wenn etwas nicht rational begründbar ist, warum nicht? Wie begründet man es dann?

Bspw. über logische Grundsätze wie dem Satz der Identität oder dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch (vgl. Denkgesetze).
Man könnte es zur Abwechslung mit der Empirie versuchen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Helmuth
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#5 Re: Rationalität und christlicher Glaube

Beitrag von Helmuth » Mi 7. Mär 2018, 13:44

Servus ThomasM

Rationalität hat mit Dämonie nichts direkt gemeinsames. Sind 2 Paar Schuhe. Ich sehe das so. Dämonie kann deinen Verstand verfinstern. Der Heilige Geist kann ihn erhellen. Aber es sind für mich zwei Bereiche, der geistliche und der natürliche. Das Natürliche ist an sich nichts Schlechtes, es ist nur auf sich allein gestellt nicht lebensfähig. Daher benötige man Gottes Geist, damit es überhaupt erst belebt wird. Siehe Joh. 6.63 bzw 1.Kor 2.13-16.

Die Dämonenwelt hingegen ist eine Realität im geistlichen Bereich, das ist eine andere Welt. Der Verstand denkt, er erkennt aber nicht. Das sog. Sehen dieser Welt mus Gott dir offenbaren, sie wird nicht „gedacht“. Man kann sie aber mit seinen Worten nachträglich beschreiben. Und so lesen wir einmal die Berichte der Propheren. Wir sehen dabei ihre Vision nicht, wir gewinnen aber eine Vorstellung.

Das Erforschen der Gedankenwelt ist in der Tat eine interessante Sache. Jesus erkannte sie am Gerasener sofort. Man sah sie nicht als körperliche Wesen, nur in ihrer Wirkung, dass den Menschen verrückt machten, bzw wie sie eine ganze Schweineherde umbringt.
Der Herr steht zu mir, deshalb fürchte ich mich nicht. Was kann ein Mensch mir anhaben?
Ps 118:6

ThomasM
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#6 Re: Rationalität und christlicher Glaube

Beitrag von ThomasM » Mi 7. Mär 2018, 14:35

Pluto hat geschrieben: Meine Schlussfolgerung: Rationalität ist gut. Unsicherheit in der Sache ist besser.
Rationalität ist ja nicht notwendig ein synonym für Sicherheit. Wahrscheinlichkeitsrechnung ist eine ziemlich rationale Sache (wie schon die Quantenmechanik beweist).
Insofern ist das, was du sagst, kein Gegensatz.
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ThomasM
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#7 Re: Rationalität und christlicher Glaube

Beitrag von ThomasM » Mi 7. Mär 2018, 14:45

Solivagus hat geschrieben:
ThomasM hat geschrieben:- Wenn nicht, wo verläuft die Grenze. Was ist rational begründbar, was nicht?

Ganz allgemein, kontingente und notwendige Entitäten (vgl. Kontingenz).

ThomasM hat geschrieben:- Wenn etwas nicht rational begründbar ist, warum nicht? Wie begründet man es dann?

Bspw. über logische Grundsätze wie dem Satz der Identität oder dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch (vgl. Denkgesetze).
Hallo Solivagus

Du zitierst philosophische Begriffe, aber auch da sehe ich keinen Gegensatz zur Rationalität, sondern sehe die Philosophie eher ganz innerhalb des Terrains der Rationalität. Die von dir zitierten logischen Denkgesetze sind das Musterbeispiel von Rationalität.

Gerade im Zusammenhang mit dem Glauben geraten diese Grundsätze ins Wanken. Mein Lieblingsbeispiel ist der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch, der nichts weiter als eine Grundaussage der zweiwertigen Logik ist.
Abgesehen davon, dass die Mathematik auch n-wertige Logik oder Fuzzy Logik kennt, ist der Satz in Bezug auf Gott nicht mehr anwendbar. Als Beispiel sei gesagt, dass Gott vollkommen gerecht und vollkommen gnädig ist. Aber gerecht und gnädig sind sich widersprechende Qualitäten, Gott vereint sie trotzdem auf sich.

Das ist übrigens auch nicht verwunderlich, denn auch im täglichen Leben ist der Satz nicht korrekt. So sind Aussagen in der Werbung und in der Politik meist weder falsch noch richtig (oder meinetwegen sowohl falsch als auch richtig). Das zeigt, dass der Satz eine mathematisch, idealisierte Modellierung ist, die aber in der Praxis durch andere Effekte meist ausgehebelt wird.
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JackSparrow
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#8 Re: Rationalität und christlicher Glaube

Beitrag von JackSparrow » Mi 7. Mär 2018, 14:58

ThomasM hat geschrieben:- Ist Rationalität grundsätzlich unchristlich und falsch?
Im normalen Alltag und Berufsleben denken Christen sicher nicht weniger rational als der Durchschnittsbürger. Nur haben manche Menschen eben etwas speziellere Hobbies. Zum Beispiel mit irrationalen Argumenten anonym im Internet erfolglos neue Anhänger aquirieren zu wollen.

Wie begründet man es dann?
Gott wird im alten Testament mit der Aussage zitiert, für alles Unheil der Welt allein verantwortlich zu sein. Und im neuen Testament stellt der Evangelist Johannes Jesus als einen Lügner dar. Wie begründet man als Christ solche Sachverhalte?

Man wechselt das Thema, fabuliert ein wenig über die Macht des Teufels und hofft, dass der Gesprächspartner die Klappe hält.


Helmuth hat geschrieben:Die Dämonenwelt hingegen ist eine Realität im geistlichen Bereich,
Du räumst also ein, dir diese Dämonenwelt selbst ausgedacht zu haben.

ThomasM
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#9 Re: Rationalität und christlicher Glaube

Beitrag von ThomasM » Mi 7. Mär 2018, 15:08

Hallo Helmuth
Helmuth hat geschrieben: Rationalität hat mit Dämonie nichts direkt gemeinsames. Sind 2 Paar Schuhe. Ich sehe das so. Dämonie kann deinen Verstand verfinstern. Der Heilige Geist kann ihn erhellen. Aber es sind für mich zwei Bereiche, der geistliche und der natürliche. Das Natürliche ist an sich nichts Schlechtes, es ist nur auf sich allein gestellt nicht lebensfähig. Daher benötige man Gottes Geist, damit es überhaupt erst belebt wird. Siehe Joh. 6.63 bzw 1.Kor 2.13-16.
Du unterschiedest natürliche und geistliche Bereiche. Ich vermute, du verbindest den natürlichen Bereich mit Rationalität.
Das ist etwas komisch, denn Rationalität hat ja mit Denken zu tun, mit strukturiertem "logischen" Denken (Philosophie) oder mit begründetem Denken (Empirie).
Die Feststellung "da ist etwas dämonisches" ist ja nichts weiter als der Versuch, eine Beobachtung in ein Modell zu packen. Die Beobachtung sind Krankheiten, meist psychische Krankheiten, bzw. abnormales Verhalten. Man fragt sich, was die Ursachen solcher Krankheiten oder solchen Verhaltens ist.
Und in einer Zeit, die noch nichts von Krankheitserregern oder Gehirnfunktionen wusste, hat man die Ursache als Dämonen bezeichnet.

Helmuth hat geschrieben: Die Dämonenwelt hingegen ist eine Realität im geistlichen Bereich, das ist eine andere Welt. Der Verstand denkt, er erkennt aber nicht. Das sog. Sehen dieser Welt mus Gott dir offenbaren, sie wird nicht „gedacht“. Man kann sie aber mit seinen Worten nachträglich beschreiben. Und so lesen wir einmal die Berichte der Propheren. Wir sehen dabei ihre Vision nicht, wir gewinnen aber eine Vorstellung.

Das Erforschen der Gedankenwelt ist in der Tat eine interessante Sache. Jesus erkannte sie am Gerasener sofort. Man sah sie nicht als körperliche Wesen, nur in ihrer Wirkung, dass den Menschen verrückt machten, bzw wie sie eine ganze Schweineherde umbringt.
Hier kommen wir zu dem Knackpunkt.
Der Mensch macht sich ein Modell von den "Dingen, die dahinter geschehen".
Das ist wohl das, was du als geistlich bezeichnest. Als Christ ist die Wirklichkeit Gottes klar, für die Menschen vor 2000 Jahren war die Wirklichkeit von Dämonen ebenfalls klar.

Das, was du als "dämonische Wirkung" bezeichnest, ist unstrittig. Nur heutzutage werden andere Labels daran gehängt, Epilepsie, Schizophrenie, Aggressionsstörung usw. Auch die Denkmodelle, die hinter diesen Labels stehen, sind andere.

Die Frage ist: Schadet es, wenn ein Christ die modernen Denkmodelle hinter diesen Phänomenen akzeptiert und mindestens teilweise übernimmt? Ist man als Christ gezwungen, das Denkmodell "Dämonen" zu übernehmen, mit dem - das müsstest auch du zugeben - sehr viel Schindluder getrieben wurde?
Warum fühlst du dich gezwungen, das Denkmodell "Dämonen" zu benutzen?
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#10 Re: Rationalität und christlicher Glaube

Beitrag von ThomasM » Mi 7. Mär 2018, 15:15

JackSparrow hat geschrieben: Gott wird im alten Testament mit der Aussage zitiert, für alles Unheil der Welt allein verantwortlich zu sein. Und im neuen Testament stellt der Evangelist Johannes Jesus als einen Lügner dar. Wie begründet man als Christ solche Sachverhalte?
Du schreibst, das wären "Sachverhalte". Dabei solltest du den Unterschied zwischen Sachverhalten (in Plutos Worten empirische Tatsachen) und Interpretation von Textpassagen eigentlich kennen.

Was du machst, ist Textpassagen der Bibel aus dem Zusammenhang herauszureißen und in deinem Sinn auszulegen. Das ist dein gutes Recht, aber mein gutes Recht (und das aller anderen) ist es, das ebenfalls zu tun und zu einer anderen Aussage zu kommen.
Damit sind wir auf dem Gebiet der Textinterpretation bzw. der Exegese und das ist, wenn man es richtig betreibt, durchaus eine rationale Tätigkeit.
Daraus dann ist (ganz rational) begründbar, dass verschiedene Menschen zu unterschiedlichen Ergebnissen in der Exegese kommen.

Also: Alles gut.
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