Ernesto Cardenal und Granada in Nicaragua, was wird bleiben?

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werni883
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#1 Ernesto Cardenal und Granada in Nicaragua, was wird bleiben?

Beitrag von werni883 » So 11. Feb 2018, 13:52

Servus, ich bin seit 2009 in Beamtenpension und fliege alle paar Winter in ein warmes Land, wo man spanisch spricht. Im Feber 2010 fuhr ich mit einem Bus von Costa Rica nach Granada, 1526 gegründet, in Nicaragua.
Nach ein paar Tagen wurde ein "Weltkongress der Dichter" ebendort abgefùhrt und plötzlich erkannte ich E. Cardenal am Rednerpult.
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Bis dorthin hatte ich die wenigste Ahnung über diesen Mann (Gottes), der dieser Tage 95 Jahre alt war, wenn ich mich nicht irre.
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Was ist mit ihm? Was macht ihn so beliebt, so besonders?
werni883

Novas
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#2 Re: Ernesto Cardenal und Granada in Nicaragua, was wird bleiben?

Beitrag von Novas » So 11. Feb 2018, 19:59

werni883 hat geschrieben:Was macht ihn so beliebt, so besonders?

Er ist ein großartiger Dichter :thumbup: allgemein ist die lateinamerikanische Lyrik sehr lesenswert. Sie ist zutiefst spirituell, aber ohne sich in Abstraktionen zu verlieren. Sie sieht den Menschen, wie er ist: den leidenden und liebenden, sich nach einer gerechten Weltordnung sehnenden Menschen. Er ist die Symbiose aus einem christlichen Mystiker und einem echten Marxisten, was in Lateinamerika (in der Theologie der Befreiung) sehr nahe beieinander liegt.

Politik und Poetik, die Suche nach einer alternativen Lebensform, die den neuen Bedürfnissen nicht nur des nicaraguanischen Volkes gerecht wird, dies durchzieht sich durch sein ganzes künstlerisches wie auch kulturpolitisches Schaffen. »Für Ernesto Cardenal gibt es kein größeres Geheimnis als die Liebe. Als junger Student schreibt er seine Gedichte getrieben von seiner Sehnsucht nach dem geliebten Mädchen, das sich ihm entzieht. Als Novize im Kloster richtet sich sein Sehnen auf die Begegnung mit Gott und am meisten berühren jene Verse, deren Eros nicht zu unterscheiden ist von männlichem Begehren. Die „Gesänge des Universums“ des reifen Dichters schließlich rücken die Liebe als Gestaltungsprinzip ins Zentrum der gesamten Schöpfung.

Liebe – ob zu den Menschen oder zu Gott – ist für Cardenal nicht zu trennen von Sinnlichkeit, auch darum hat er nie ein jenseitiges Paradies beschworen. Dorothee Sölle schrieb an ihren Freund Ernesto: „Du hast sie beieinander gelassen: Religion, Politik und Liebe, Deine Liebeslieder sind politisch, Deine Psalmen erotisch. Deine Bejahung, deine Feier des Lebens ist umfassend“.«
nigaraguaportal.de: Ernesto Cardenal

Die Grundkonzepte der Befreiungstheologie entstanden seit etwa 1960 aus der Selbstorganisation von katholischen Basisgemeinden in Brasilien. Für alle, die sich fragen, wie die Kirche der Zukunft aussehen könnte: da haben wir das Modell; nicht von oben, sondern von der Basis kommend, aus der Mitte des Volkes. Die Frage ist, wie die Kirchenhierarchie damit umgehen wird :)

Etwa seit der Zeit der kubanischen Revolution 1959 bildeten sich in den armen und meist katholisch geprägten Bevölkerungsschichten ehemaliger europäischer Kolonien vermehrt so genannte „Basisgemeinden“. Deren Mitglieder waren in der Regel landlose Bauern (campesinos), Landarbeiter, Slumbewohner und Analphabeten, die ihre Alltagsprobleme gemeinsam zu bewältigen versuchten. Hier wurde die biblische Botschaft unmittelbar auf die reale Situation ihrer Leser bezogen, um daraus eine gesellschaftliche Hoffnungsperspektive für sie zu entwickeln. Das besondere Kennzeichen dieser lebensnahen und praktischen Exegese ist, dass sie von den betroffenen Armen selbst vorgenommen wird, die sich als in den Bibeltexten Gemeinte und Angeredete entdecken.
Wikipedia

Beispiele für eine Befreiungstheologie gibt es auch bei uns im Westen: die mit der Bürgerrechts- und Protestbewegung verbundene „schwarze Theologie“ in den USA, die sich gegen den Rassismus gewendet hat. Martin Luther King ist im Grunde ein Vertreter der Befreiungstheologie oder bei uns Dorothee Sölle. Wie oben aufgeführt, war sie mit Ernesto Cardenal befreundet. Hier ein typisches Beispiel für ihre Denkweise:

„Meine Tradition hat uns wirklich mehr versprochen! Ein Leben vor dem Tod, gerechtes Handeln und die Verbundenheit mit allem, was lebt, die Wölfe neben den Lämmern und Gott nicht oben und nicht später, sondern jetzt und hier. Bei uns, in uns.“

(Dorothee Sölle)

Um wieder auf Cardenal zurückzukommen.

Kommen wir zur dritten Berufung in Ihrem Leben: zum Priestertum. Mit Gott zu sein, bezeichnen Sie als großes Glück.
Cardenal: Das Priestertum an sich war nicht so wichtig für mich. Wir Christen sind alle Priester, Propheten und König, wie es im Evangelium steht. Für mich ist die Verbindung mit Christus, die auch die Verbindung mit Gott ist, das Wichtigste. Ich komme zu Gott mit Christus. Wer zu mir kommt, kommt zu Gott, sagt Jesus.

Sie sagen, Sie seien durch das Neue Testament zum Marxisten geworden. Wie das?
Cardenal: Das Evangelium ist die gute Nachricht für die Armen. Es ist die Nachricht von ihrer Befreiung. Das hat mich dazu geführt, die Schriften von Karl Marx kennenzulernen, dessen Ziel eine gerechte, perfekte Gesellschaft auf Erden war. Und das war ja nichts anderes als das Himmelreich auf Erden, von dem das Evangelium berichtet: eine gerechte, perfekte Gesellschaft ohne Klassen. Das ist dann entweder der Kommunismus oder das Reich Gottes auf Erden.

[...]

Bei seiner zweiten Nicaragua-Reise sagte derselbe Papst 1995, die "Theologie der Befreiung" stelle keine Gefahr mehr dar, weil der Kommunismus tot sei. Wie sehen Sie das heute?
Cardenal: Ja, das hat er auf einer Reise durch Mittelamerika gesagt. Da antwortete ihm ein Bischof aus dem brasilianischen Urwald, solange es Arme gebe, werde es auch die Befreiungstheologie geben. Und das glaube ich auch heute noch.

[...]

Sie haben den neuen Papst Franziskus als "revolutionären Papst" bezeichnet...
Cardenal: Ja, ich fühle mich Papst Franziskus gegenüber sehr nah. Er ist dabei, die Dinge im Vatikan auf den Kopf zu stellen. Nein, genauer ausgedrückt: Er stellt die Dinge, die verkehrt herum stehen, wieder auf die Füße.
Ernesto Cardenal: "Ich habe für eine Revolution gedichtet"

Falls Du dich mit seinem literarischen Werk beschäftigen möchtest: Cardenal sagte mal, dass sein Werk „Cantico Cosmico“, „Kosmischer Gesang“ das Wichtigste ist. Ich empfehle Dir jedoch sein Buch der Liebe, weil es einer der größten Texte der modernen christlichen Mystik ist (meiner persönlichen Meinung nach :engel: ) „Das Buch von der Liebe“ enthält Meditationen, die er im Kloster Gethsemani/Kentucky geschrieben hat. Zu diesem Orden gehörte der von mir sehr geschätzte Thomas Merton.

Bild
Das Buch von der Liebe (Ernesto Cardenal)

werni883
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#3 Re: Ernesto Cardenal und Granada in Nicaragua, was wird bleiben?

Beitrag von werni883 » Fr 30. Mär 2018, 14:21

Servus,
ja "liebe Deinen Nächsten als Dich selbst."
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Ich denke, dass Eugen Drewermann viel Ähnlichkeit mit Ernesto hat. Eugen D. gab sich an seinem 65. Geburtstag ein Geschenk an sich selbst: Er trat aus der r.k Gemeinde aus.
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Wenn ich den Pomp, das schier unermessliche Vermögen und die diversen Umtriebe des Papsttums sehe, bin ich voll auf Kritikerlinie.
werni883

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