Wie gut sind deutsche Bibelübersetzungen?

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Halman
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#1 Wie gut sind deutsche Bibelübersetzungen?

Beitrag von Halman » Do 22. Dez 2016, 15:36

:wave: liebe User-Gemeinde,

in der Zeit, die ich Euch mit Widerspruch und Verweisen auf den biblischen Grundtext nerve :oops: , kamen auch Missverständnisse durch deutsche Bibelübersetzungen zur Sprache. Nun bin ich nicht der Meinung, dass diese grundsätzlich für die Tonne wären; ich vertrete lediglich die Auffassung, dass an manchen Stellen Übersetzungen missverständlich sein können.
In diesem Thread will ich dieses Thema, was sonst immer nur am Rand auftauchte, in den Fokus rücken. Mal sehen, ob es uns gelingt, hier ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.

Kurt favorisiert, wie hier sicher viele Wissen, die extrem strukturtreue Buber-Übersetzung des ersten Testaments. Von 2Lena wissen wir, dass hebräische Worte unterschiedlich übersetz werden können. Ich denke, dass dies auch Martin M. Buber wusste.
Meiner Meinung nach ist der Kontext entscheidend, weshalb ein Übersetzer nicht umhin kommt, das selbe hebräische Wort, je nach Kontext, u.U. unterschiedlich zu übersetzen.
Nimmt als Beispiel einen deutschen Text, in dem das Wort "Himmel" häufiger auftaucht. Die Aufgabe besteht nun darin, diesen Text ins Englische zu übersetzen. Dann muss der Übersetzer entscheiden, wann er "Himmel" mit "sky" oder "heaven" übersetzt.
Im Hebräischen gibt es meiner Kenntnis nach weniger Worte also bspw. im sehr wortreichen Griechisch. Doch das Hebräische ist trotzt des geringeren Wortschatzes sehr ausdrucksstark, denn die selben hebräischen Worte können in unterschiedlichen Kontexten völlig verschiedene Bedeutungen haben. So kann ruach Geist, Odem oder Wind bedeuten.

Es folgt ein kleiner Exkurs zur hebräischen Sprache.
Zitat aus HEBRÄISCH:
Eigenschaften und Merkmale.
[...]

Das Hebräische ist reich an Metaphern oder bildlichen Ausdrücken. In 1. Mose 22:17 steht für „Ufer des Meeres“ im Hebräischen buchstäblich „Lippe des Meeres“. Ähnliche metaphorische Ausdrücke sind „Angesicht der Erde“, „Kopf des Berges“, „Mund der Höhle“ usw. Jeder, der die Bibel selbst gelesen hat, weiß, daß diese vermenschlichende Ausdrucksweise keineswegs animistische Vorstellungen widerspiegelt, denn die Bibel hat nur Worte äußerster Verachtung für diejenigen übrig, die Bäume und andere Gegenstände verehren. (Vgl. Jes 44:14-17; Jer 10:3-8; Hab 2:19.)

Der hebräische Wortschatz besteht aus Wörtern, mit denen sich eine konkrete Vorstellung verbinden läßt, Wörtern, die die fünf Sinne — Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten — mit einbeziehen. Sie zeichnen also im Sinn des Hörers oder Lesers Bilder. Diese Konkretheit soll nach Ansicht einiger Gelehrter die Ursache für das Fehlen abstrakter Begriffe im Hebräischen sein. Es gibt im biblischen Hebräisch aber offensichtlich einige abstrakte Substantive. Zum Beispiel wird das Substantiv machaschaváh (von der Wurzel chascháv, „[ge]denken“, abgeleitet) mit abstrakten Begriffen wie „Gedanke, Plan, Erfindung“ übersetzt. In dem Verb batách (vertrauen) hat das Substantiv bétach (Sicherheit) seinen Ursprung. Dennoch kann man die allgemeine Regel aufstellen, daß abstrakte Vorstellungen durch konkrete Substantive übermittelt werden. Betrachten wir das Wurzelverb kavédh, dessen Grundbedeutung „schwer sein“ ist (wie in Ri 20:34). In Hesekiel 27:25 wird das gleiche Wort mit ‘herrlich werden’, wörtlich ‘schwer werden’, übersetzt. Dementsprechend wird von dieser Wurzel das Substantiv kavédh abgeleitet, das sich auf die Leber, eines der schwersten inneren Organe, bezieht, aber auch das Substantiv kavṓdh, „Herrlichkeit“ (3Mo 3:4; Jes 66:12). Ein Beispiel, das diese Übernahme des Abstrakten vom Konkreten ebenfalls veranschaulicht, ist jadh, was „Hand“ sowie „Obhut“, „durch“ oder „Leitung“ bedeutet (2Mo 2:19; 1Mo 42:37; 2Mo 35:29; 38:21); ʼaph bezieht sich sowohl auf „Nase“ als auch auf „Zorn“ (1Mo 24:47; 27:45); serṓaʽ, „Arm“, vermittelt auch den abstrakten Begriff „Kraft“ (Hi 22:8, 9).
Stellen wir erstmal 1. Mose 1:2 und Psalm 104:30 gem. der Buber-Übersetzung gegenüber:
2 Die Erde aber war Irrsal und Wirrsal. Finsternis über Urwirbels Antlitz. Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser.
30 Du schickst deinen Geist aus, sie sind erschaffen und du erneuerst das Antlitz des Bodens
Martin Buber war wohl der Meinung, dass in Psalm 104 (einem Lied) ruach mit "Geist" zu übersetzen sei und in Genesis (dynamischer narrativer Text) der Gedanke treffender durch "Braus" zum Ausdruck kommt. In JEDER Übersetzung fließt auch die Interpretition des Übersetzers bzw. der Übersetzer hinein.
Schauen wir uns dies gem. dem masoretischen Grundtext des Codex Leningradensis an, der eine sehr gute Annäherung an den hebräischen Grundtext der Bibel ist. Sowohl in Gen 1:2 wie auch in Ps 104:30 steht רוּח (rûach).
Bei geauerer Betrachtung steht im hebräischen Grundtext in Gen 1:2 allerdings וְרוּחַ und in Ps 104:30 רוּחֲךָ.

Hier die Übersicht:
רוּח (rûach]
וְרוּחַ (Braus, 1. Mose 1:2)
רוּחֲךָ (Geist, Psalm 104:30)

Der King James Bible (KJB) liegt m.W. die Gutenberg-Bibel von William Tyndale zugrunde. Seine Grundlage für den Tanach (AT) war wiederum der masoretische Text. Wenn also gem. der KJB auf den hebräischen Grundtext von Gen 1:2 und Ps 104:30 verwiesen wird, meint dies meinem Verständnis nach den Codex Leningradensis, gem. dem Spirit in beiden Fällen die Übersetzung von ruwach ist.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

closs
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#2 Re: Wie gut sind deutsche Bibelübersetzungen?

Beitrag von closs » So 25. Dez 2016, 17:01

Halman hat geschrieben: kamen auch Missverständnisse durch deutsche Bibelübersetzungen zur Sprache. Nun bin ich nicht der Meinung, dass diese grundsätzlich für die Tonne wären
Ganz sicher sind die deutschen Bibelübersetzer Meister ihres Fachs - hier spielt aus meiner Sicht etwas anderes eine Rolle:
Halman hat geschrieben: In JEDER Übersetzung fließt auch die Interpretition des Übersetzers bzw. der Übersetzer hinein.

Halman hat geschrieben:Martin Buber war wohl der Meinung, dass in Psalm 104 (einem Lied) ruach mit "Geist" zu übersetzen sei und in Genesis (dynamischer narrativer Text) der Gedanke treffender durch "Braus" zum Ausdruck kommt.
Dazu zwei Anmerkungen:
1) Steht im Psalm 104 sowie in der Genesis im Urtext jeweils "ruah"?
2) Wenn ja: Es kann sein, dass für Buber "Geist" für die ontologische Entität von "Ruah" steht und "Braus" für deren Wirken in der Schöpfung. - Dies ist ein Verdacht und nicht mehr.

Halman hat geschrieben:Meiner Meinung nach ist der Kontext entscheidend, weshalb ein Übersetzer nicht umhin kommt, das selbe hebräische Wort, je nach Kontext, u.U. unterschiedlich zu übersetzen. Nimmt als Beispiel einen deutschen Text, in dem das Wort "Himmel" häufiger auftaucht. Die Aufgabe besteht nun darin, diesen Text ins Englische zu übersetzen. Dann muss der Übersetzer entscheiden, wann er "Himmel" mit "sky" oder "heaven" übersetzt.
Übersetzungen haben eh viele Probleme:
1) Gibt es "dieses" Wort überhaupt in der Sprache, in die übersetzt werden soll?

2) Gibt es dort dafür weniger Differenzierungen? Beispiel: Wenn ein Eskimo etwas in Deutsch übersetzen muss, hat er so um die 50 differenzierende Worte für "Schnee" - wir haben vielleicht 5 oder 10.

3) Gibt es dort MEHR Differenzierungen? Beispiel: Wenn ein Deutscher das Wort "Schnee" für Eskimos übersetzen will: Welches der 50 soll er nehmen?

4) Konnotationen eines Wortes: Beispiel: "Nunnery" (Nonnenkloster) war zur Zeiten Shakespeares ein geläufiges Synonym für "Puff". - Wie will man diesen Hintergrund ins Deutsche transportieren? Niemand versteht hier hintergründig "Puff", wenn jemand "Kloster" sagt.

5) Reime. - Ein Reim ist wahnsinnig schwer so zu überbtragen, dass es auch noch semantisch stimmt. - Entweder man verliert den Schwung des Reims oder den Sinn des Worts.

6) Lautmalerei: Wenn Shakespeare (ein Meister der Lautmalerei) beim uralten Mann von "shrunk shank" (= in etwa "klapprig"" - wörtlich "geschrumpfter Schaft") spricht, hört man geradezu, wie es überall knackt und bricht - bei "klapprig" übrigens auch - aber es ist ein ganz anderes Wort.

7) Homonyme - also Wörter, die phonetisch gleich oder ähnlich, aber inhaltlich unterschieden sind. - Die bewusste oder unbewusste Verbindung beider Inhalte ist so gut wie nie übersetzbar.

Und dann kommt noch ein ganz anderes Thema dazu: Die Denkweise einer Zeit und eines Volks. - Konkret und hier als Behauptung aufgestellt:

Im Alt-Hebräischen zieht man die Beschreibung des Phänomens der Bewertung des Phänomens vor (nebenbei: das tut Shakespeare als große Ausnahme komischerweise auch - aber das ist hier nicht das Thema). - Auf die Bibel bezogen:

Deutsche/"westliche" Bibel-Übersetzungen neigen dazu, hebräische Phänomen-Beschreibungen logisch zu bewerten - dazu gibt es einige Beispiele. - Umgekehrt: Man liest das AT ganz anders, wenn man diese "westliche" Marotte ablegt - und man übersetzt anders.

Helmuth
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#3 Re: Wie gut sind deutsche Bibelübersetzungen?

Beitrag von Helmuth » So 25. Dez 2016, 18:36

Es wäre ganz gut sich ein konkretes Beispiel vorzunehmen. Das macht eine Diskussion konkreter und kommt vom allzu theoretischen Geschwafel weg.
Der Herr steht zu mir, deshalb fürchte ich mich nicht. Was kann ein Mensch mir anhaben?
Ps 118:6

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fin
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#4 Re: Wie gut sind deutsche Bibelübersetzungen?

Beitrag von fin » So 25. Dez 2016, 19:09

-- Ein konkretes Beispiel aus dem NT --

Helmuth hat geschrieben:Es wäre ganz gut sich ein konkretes Beispiel vorzunehmen.
Ich schlage Lk 17:21/22 vor, da hier die Kernaussage (22) - je nach Übersetzung - variiert.

:idea: :!: :idea:

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#5 Re: Wie gut sind deutsche Bibelübersetzungen?

Beitrag von closs » So 25. Dez 2016, 19:42

fin hat geschrieben:Ich schlage Lk 17:21/22 vor, da hier die Kernaussage (22) - je nach Übersetzung - variiert.
Dann fangen wir damit an - als Reserve habe ich hintendran Deut. 8,2.

Fin, leg los: Wie gehst Du es an? :thumbup:

Ziska_Deleted

#6 Re: Wie gut sind deutsche Bibelübersetzungen?

Beitrag von Ziska_Deleted » So 25. Dez 2016, 20:03

fin hat geschrieben:-- Ein konkretes Beispiel aus dem NT --

Helmuth hat geschrieben:Es wäre ganz gut sich ein konkretes Beispiel vorzunehmen.
Ich schlage Lk 17:21/22 vor, da hier die Kernaussage (22) - je nach Übersetzung - variiert.

:idea: :!: :idea:

Hallo!

Frage dich: Zu wem sprach Jesus diese Worte?

Dann erkennst du, welche Übersetzung den Sinn der Aussage Jesu am allerbesten wiedergibt.

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fin
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#7 Re: Wie gut sind deutsche Bibelübersetzungen?

Beitrag von fin » So 25. Dez 2016, 20:47

-- Lk 17:21,22 --

closs hat geschrieben:Fin, leg los: Wie gehst Du es an? :thumbup:

Zuerst alle Hinweise auflesen und mögliche Experten befragen ...

Ziska hat geschrieben: Frage dich: Zu wem sprach Jesus diese Worte?
Dann erkennst du, welche Übersetzung den Sinn der Aussage Jesu am allerbesten wiedergibt.

Die da :angel: lautet: ... ?

closs
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#8 Re: Wie gut sind deutsche Bibelübersetzungen?

Beitrag von closs » So 25. Dez 2016, 21:35

fin hat geschrieben:Zuerst alle Hinweise auflesen und mögliche Experten befragen ...
Ja - und was ist Dein ermitteltes Ergebnis?

Helmuth
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#9 Re: Wie gut sind deutsche Bibelübersetzungen?

Beitrag von Helmuth » Mo 26. Dez 2016, 13:02

Ziska hat geschrieben: Frage dich: Zu wem sprach Jesus diese Worte?
In Vers 20 stellen Pharisäer eine Frage an Jesus. Und Jesus beantwortet ihnen diese, steht in Vers 20 und 21.
In Vers 22 redet Jesus zu den Jüngern.

Stünde so in meiner Schlachter Übersetzung, auch in der NGÜ.

Stimmen die Übersetzungen etwa nicht?
Der Herr steht zu mir, deshalb fürchte ich mich nicht. Was kann ein Mensch mir anhaben?
Ps 118:6

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fin
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#10 Re: Wie gut sind deutsche Bibelübersetzungen?

Beitrag von fin » Mo 26. Dez 2016, 13:48

-- Korrekturen --

fin hat geschrieben:-- Ein konkretes Beispiel aus dem NT --
Ich schlage Lk 17:21/22 vor, da hier die Kernaussage (22) - je nach Übersetzung - variiert.

Entschuldigt bitte - mir ist ein Fehler unterlaufen! Ich habe die Zeilen verwechselt. :oops:
Es handelt sich um Lk 17:20/21 - Kernaussage schließt also mit Zeile (21)!

Als Wiedergutmachung (Ziska wird sich freuen;)
gebe ich euch eine der ältesten Übersetzungen wieder ...

"20 Da er aber gefraget ward von den Phariseern / Wenn kompt das reich Gottes? Antwortet er jnen / vnd sprach / Das reich Gottes kompt nicht mit eusserlichen (2) Geberden / 21 Man wird auch nicht sagen / Sihe hie / oder da ist es. Denn sehet / Das reich Gottes ist inwendig in euch. (Luther 1545)

:angel:

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