Theodizee

Rund um Bibel und Glaube
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Ska'ara
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#641 Re: Theodizee

Beitrag von Ska'ara » Sa 1. Okt 2016, 08:32

sven23 hat geschrieben: Weil es noch keinem Theologen gelungen ist, dies aufzulösen. Mit Auflösen meine ich nicht "mit Ausreden" bemänteln, sondern eine in sich schlüssige Argumentation.


Schon alt sind die Versuche, all das Böse auf der Welt dem Teufel zuzuschreiben, der die guten
Absichten Gottes immer wieder stört. Auf diese Weise behält Gott zwar seine weiße Weste, aber
verliert auch seine Souveränität. Und das Problem, warum er das Böse nicht einfach verhindert,
bleibt bestehen. Teufelslösungen waren in der Kirche zudem immer auch gefährlich, denn der Schritt
hin zu einer völlig dualistischen Weltsicht war immer eine Gefahr."

Kubitza, Der Dogmenwahn
Die Kirche selbst kann doch eine Teufelslösung sein, um die Menschheit zu verwirren. Zumindest hat die Kirche ziemlich teuflisch gehandelt.

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NIS
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#642 Re: Theodizee

Beitrag von NIS » Sa 1. Okt 2016, 08:44

Das Böse ist absolut eindeutig, daher kann man es kontrollieren.

Das Gute ist vielseitig und bunt, so wie das Leben vielseitig und bunt ist.
:roll:
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sven23
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#643 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Sa 1. Okt 2016, 10:10

Ska'ara hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Weil es noch keinem Theologen gelungen ist, dies aufzulösen. Mit Auflösen meine ich nicht "mit Ausreden" bemänteln, sondern eine in sich schlüssige Argumentation.


Schon alt sind die Versuche, all das Böse auf der Welt dem Teufel zuzuschreiben, der die guten
Absichten Gottes immer wieder stört. Auf diese Weise behält Gott zwar seine weiße Weste, aber
verliert auch seine Souveränität. Und das Problem, warum er das Böse nicht einfach verhindert,
bleibt bestehen. Teufelslösungen waren in der Kirche zudem immer auch gefährlich, denn der Schritt
hin zu einer völlig dualistischen Weltsicht war immer eine Gefahr."

Kubitza, Der Dogmenwahn
Die Kirche selbst kann doch eine Teufelslösung sein, um die Menschheit zu verwirren. Zumindest hat die Kirche ziemlich teuflisch gehandelt.
Interessanter Ansatz.
Das Dumme ist nur, die Kirche verstand sich von Anfang an als legitime Nachfolgerin Jesu und begründete dies mit der Bibel.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#644 Re: Theodizee

Beitrag von SilverBullet » Sa 1. Okt 2016, 11:12

Ska'ara hat geschrieben:Dennoch schuf dieser Gott nur die Wahlmöglichkeit.
„Dieser Gott“?

Wenn ich es richtig sehe, befindet man sich beim „Schöpfungsverdacht“ seit Jahrtausenden lediglich im Fragezustand: „wer oder was soll der Schöpfer sein?“

Natürlich ist mir klar, dass man seit langer Zeit so tut, als ob mit „Gott“ eine Antwort vorliegen würde.
Tatsächlich aber wurde nur ein Wort erfunden, in das man all die eigenen Vorlieben hineinzulegen versucht.
Was aber (genau wie am Anfang) immer noch fehlt, ist „ein Kandidat“, der all diese Wünsche erfüllen könnte.

„Gott“ ist also immer noch die obige Frage – mehr nicht.

Das „Theodizee-Problem“ ist ein Argument, das man verwenden kann, um diesen Sachverhalt aufzudecken.
Es geht nicht darum, das Verhalten einer vorliegenden Persönlichkeit zu kritisieren, sondern es geht darum, die Vermutung vom „Vorhandensein einer Persönlichkeit“ infrage zu stellen.

Ska'ara hat geschrieben:Gott ist schuldig, weil wir schuldig sind? Oder sind wir unschuldig, weil Gott schuldig ist?
Auch hier zeigt sich, dass du einfach so tun möchtest, als sei die Anfangsfrage mit dem Wort „Gott“ beantwortet.

Wir sind nicht an einem Punkt, an dem wir „die Schuld“ irgendwohin schieben könnten.

Wir sind an dem Punkt, die eigene Idee des „Schöpfungsverdachtes“ infrage zu stellen.

Zudem, dass kein Kandidat vorliegt, gibt es auch noch Widersprüche in den Wünschen, die dieser Kandidat erfüllen können soll.

---
---

closs hat geschrieben:Da müsste man jetzt Begriffe wie "Fügung", etc. einführen - und dann würde gar nichts mehr gehen.

Die Theodizee-Frage lässt sich beantworten, wenn man sie aus der Tiefe beantwortet - es macht aber k(aum)einen Sinn darüber zu sehen, weil es mit Wahrscheinlichkeit nahe 1 kein Einvernehmen geben würde, was "Tiefe" ist.- - Es würde also alles gleich am Anfang stecken bleiben.
Da wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben, als deine Suggestion in „Konkretheit“ umzuwandeln, denn du stehst vor dem Problem, dass die optimale Lösung des Leid-Problems in Bezug auf das „Erschaffen einer Welt“ eindeutig der (auf Einsicht basierende) Verzicht „des (fehlenden) mächtigen Kandidaten“ gewesen wäre (was wohl nicht ganz so geklappt haben kann).

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#645 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Sa 1. Okt 2016, 11:43

sven23 hat geschrieben:Weil es noch keinem Theologen gelungen ist, dies aufzulösen. Mit Auflösen meine ich nicht "mit Ausreden" bemänteln, sondern eine in sich schlüssige Argumentation.
Fundamental-theologisch gibt es diese Auflösung schon lange - ich könnte Dir Theologen schicken, die Dir das routiniert erklären können (ich habe es übrigens auch schon einige Male gemacht - aber da muss man halt wirklich tiefer gehen und dabei auch gängige Begrifflichkeiten unter die Lupe nehmen.

Kubitzas Argumentation ist wie üblich in sich rund, aber fundamental überhaupt nicht satisfaktionsfähig.

sven23 hat geschrieben:Gott als Unheilsbringer. Ganz ehrlich, wer braucht so was?
Anthropozentrisch gesehen stimme ich Dir zu - wenn es nach mir ginge, gäbe es das nicht. Aber es gibt Gründe dafür, DASS es es gibt. - Auch hier sind Begriffs-Analysen nötig: Was ist "gut"/"Heil" - was ist "böse"/"Unheil". - Wenn man da oberflächlich rumeiert, wird das nichts.

sven23 hat geschrieben:So bescheuert das klingt, aber Kanoniker versuchen selbst das hinzubekommen.
Hier herrscht das Missverständnis, dass der Kanon ein historisch geplantes Konstrukt ist - ist es natürlich NICHT. Und wenn es Kanoniker meinen würden, müsste man ihnen den Arsch versohlen - ich glaube nicht, dass es sie es meinen.

Wenn Kanoniker von geschichtlichen Abläufen sprechen, meinen sie das, was aus Sicht der "Fügung" in der Welt aufgetreten ist, aus dem man geistige Abläufe von AT und NT verbinden kann - einfacher gesagt: Im Kanon steht alles drin, was man braucht, um die Teleologie der Heilsgeschichte verfolgen zu können.

Auszudrücklich ist Deiner Kritik zuzustimmen, wenn Kanoniker versuchen, dies pseudo-historisch-kritisch zu begründen - denn es bedarf für die Teleologie des Geistes eben NICHT einer historischen Rechtfertigung (historische Stammbäume, etc.) - hier meine ich, dass Teile der Kirche in ihrer eigenen Heilsgeschichte einfach noch nicht verstanden haben, dass dies der falsche Ansatz ist.

Umgekehrt muss um so mehr betont werden, dass die Teleologie des Geistes in ihrem Niederschlag im Dasein selbstverständlich historischen Charakter hat - einfacher: Wenn "gefügte" Dinge passieren, sind sie logischerweise Teil der Geschichte - man kann nicht zwischen säkular und geistig begründeten Fakten unterscheiden.

SilverBullet hat geschrieben:Da wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben, als deine Suggestion in „Konkretheit“ umzuwandeln, denn du stehst vor dem Problem, dass die optimale Lösung des Leid-Problems in Bezug auf das „Erschaffen einer Welt“ eindeutig der (auf Einsicht basierende) Verzicht „des (fehlenden) mächtigen Kandidaten“ gewesen wäre (was wohl nicht ganz so geklappt haben kann).
Kannst Du Deine Begründung ab "denn du stehst" etwas konkreter darstellen - ich weiss nicht, was Du damit meinst.

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#646 Re: Theodizee

Beitrag von SilverBullet » Sa 1. Okt 2016, 12:43

@closs
Was „Verzicht auf das Erschaffen einer Welt“ bedeutet, sollte dir klar sein, wo du doch vom „Erschaffen dieser Welt“ ausgehst.

Für einen Erschaffer, der über „super Erschaffereigenschaften“ verfügt, müsste es leicht erkennbar sein, dass sein Erschaffen zu Lebewesen führt, die sich als „katastrophalen Situationen ausgesetzt“ erkennen werden.

Selbst wenn man die existentielle Welt, Richtung „philosophischer Absolutheit des Denkens“ „entsorgen“ möchte, bleibt bestehen, dass („in der Illusion“) grandioses Leid als Wirklichkeit verstanden wird.

Es nicht zu so etwas kommen zu lassen, wäre das Optimum.
Dieses Optimum ist auf jeden Fall durch den Verzicht erreichbar.

Wie man es dreht und wendet: das Optimum wurde nicht erreicht.

Das ist also eine neue „lustige Eigenschaft“, die nicht „so sehr“ zu den anderen Glorifizierungsattributen passt.

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NIS
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#647 Re: Theodizee

Beitrag von NIS » Sa 1. Okt 2016, 12:51

Wie heißt Dein Philosoph, SilverBullet, John Sinclair?
Der Heilige Geist (Hauke)

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#648 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Sa 1. Okt 2016, 13:06

SilverBullet hat geschrieben:Wie man es dreht und wendet: das Optimum wurde nicht erreicht.
Das Optimum SOLL doch gar nicht erreicht werden. - Vergiss nicht: Aus theologischer Sicht ist "die (naturalistische) Welt" eine Zwischenstufe zwischen "Baum der Erkenntnis" und "Baum des Lebens". - DIese Zwischenstufe dient der Bewusstseins-Entwicklung des Menschen im Spannungsfeld von "Heil" und "Unheil". - Jesus wird dabei als göttliches Phänomen verstanden, der für das nahe Heil im Daseins-Unheil steht.

Du musst dem ja nicht zustimmen - aber wenn Du begreifen willst, musst Du diese geistigen Grundlagen nachvollziehen, auf denen die Theolizee-Frage zu diskutieren ist.

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#649 Re: Theodizee

Beitrag von SilverBullet » Sa 1. Okt 2016, 13:55

closs hat geschrieben:Vergiss nicht: Aus theologischer Sicht ist "die (naturalistische) Welt" eine Zwischenstufe zwischen "Baum der Erkenntnis" und "Baum des Lebens". - DIese Zwischenstufe dient der Bewusstseins-Entwicklung des Menschen im Spannungsfeld von "Heil" und "Unheil". - Jesus wird dabei als göttliches Phänomen verstanden, der für das nahe Heil im Daseins-Unheil steht.
Ich vergesse gar nichts, denn genau diesen Schabernack habe ich doch gerade mit „philosophischer Absolutheit des Denkens“ angesprochen – du nennst es halt „Baum der Erkenntnis“.

Die „Bewusstseins-Entwicklung“ und das „Spannungsfeld von Heil und Unheil“ gehören bei der Erschaffungsidee beide zum „Ziel des Erschaffens“.
Beim Aufstellen dieser Idee wird also letztlich eine Absicht als „Hintergrund des Leids“ verankert.

Bist du der Meinung eine „zeitlose Maximalintelligenz mit umfassenden Einsichten“ (was auch immer das sein soll) ist gezwungen „eine Welt“ zu erschaffen?

Falls ja, gibt es anscheinend noch etwas „oberhalb“ der „Maximalintelligenz“ – dann müsste man ein neues „Wörtchen“ erfinden und die „Richtung der Anbetung“ etwas anpassen.

Falls nein, gibt es ein Problem, denn eine „Maximalintelligenz“ würde durch Einsicht auf das Erschaffen verzichten.

closs hat geschrieben:Du musst dem ja nicht zustimmen
Heute ja, aber wie war es, als die „Gläubigen“ das Sagen hatten?

closs hat geschrieben:wenn Du begreifen willst, musst Du diese geistigen Grundlagen nachvollziehen, auf denen die Theolizee-Frage zu diskutieren ist.
Mit welchem Recht möchtest du irgendwelche „Grundlagen, auf denen zu diskutieren ist“ für die Fragestellung aus dem Schöpfungsverdacht festlegen, zumal du exakt den Verdachtstatus durch diese Festlegung entsorgen möchtest?

Wie sähe die Situation wohl aus, wenn du das Sagen hättest?
=> dann wäre festgelegt „wie zu diskutieren ist“, denn du hast ja „begriffen“ :-)

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#650 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Sa 1. Okt 2016, 14:22

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Weil es noch keinem Theologen gelungen ist, dies aufzulösen. Mit Auflösen meine ich nicht "mit Ausreden" bemänteln, sondern eine in sich schlüssige Argumentation.
Fundamental-theologisch gibt es diese Auflösung schon lange - ich könnte Dir Theologen schicken, die Dir das routiniert erklären können (ich habe es übrigens auch schon einige Male gemacht - aber da muss man halt wirklich tiefer gehen und dabei auch gängige Begrifflichkeiten unter die Lupe nehmen.
Es bringt nichts, gängige, also allgemeingültige und konsensfähige Begrifflichkeiten umzudefinieren, nur um ein Konstrukt umzubiegen.
Als Lösungsanzatz gibt es die unterschiedlichsten Versuche, aber allesamt nicht befriedigend, wie auch so mancher Theologe eingestehen muss.

"Modernes Denken versteht den Weltlauf als autonom und den Gesetzen von Ursache und Wirkung
unterworfen, die Geschichte als von Menschen, Verhältnissen und Zufällen bestimmt. Auch Theologen
tun sich heute schwer, daneben noch einen wirkenden Gott mitzudenken oder ihn (nach den gewaltigen
Katastrophen des 20. Jahrhunderts) gar als geschichtslenkend zu begreifen. Der Theologe Rochus
Leonhardt meint:
„Es ist schwierig, das Wirken Gottes in der geschichtlichen Wirklichkeit mit dem Lauf der
Natur und dem Handeln des Menschen in einen plausiblen Zusammenhang zu bringen.”
Der Vorsehungsglaube führt in ähnliche Probleme, wie wir sie schon vom Theodizeeproblem her
kennen. Wenn Gott alles vorhersieht und lenkt, warum ist die Welt dann, wie sie ist? Lenkt er sie
nicht ziemlich lausig? Und wenn es der Mensch ist, der für das Schlechte verantwortlich ist: Warum
setzt sich der Wille Gottes nicht durch? Und wie ist überhaupt das Verhältnis zwischen menschlichem
und göttlichem Willen und Handeln? Ist Gott als Schöpfer des Menschen nicht letztlich auch für das
schlechte Handeln der Menschen verantwortlich? Wer gibt sich hier zu wenig Mühe?
„Der Mensch denkt – Gott lenkt“, lehren uns Kirche und Theologie. „Der Mensch denkt, dass Gott
lenkt“, lehrt der gesunde Menschenverstand, und mit ihm die Einsicht, dass Gläubige immer dazu
neigen, selbst sehr negative Geschehnisse glaubenskompatibel interpretieren. Selbst Kriege und
Katastrophen, der frühe Tod von Kindern oder eigenes Leiden werden glaubensgemäß umgebogen
undin eine vermeintlich höhere Ordnung eingefügt. Was sich nicht wegerklären lässt, verschwindet
im schwarzen Loch des göttlichen Geheimnisses. Nicht Gott, sondern die Gläubigen lassen sich „alle
Dinge zum Besten dienen“. Der Trostfaktor, den diese gläubige Strategie tatsächlich bietet, wird
erkauft durch partiellen Realitätsverlust."

Kubitza, Der Dogmenwahn

closs hat geschrieben: Kubitzas Argumentation ist wie üblich in sich rund, aber fundamental überhaupt nicht satisfaktionsfähig..
Doch, ist sie. Kubitza reflektiert eine Vielzahl theologischer Argumentationen, von denen ich nur immer kleine Ausschnitte anführen kann. Sie können allesamt nicht überzeugen.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:So bescheuert das klingt, aber Kanoniker versuchen selbst das hinzubekommen.
Hier herrscht das Missverständnis, dass der Kanon ein historisch geplantes Konstrukt ist - ist es natürlich NICHT. Und wenn es Kanoniker meinen würden, müsste man ihnen den Arsch versohlen - ich glaube nicht, dass es sie es meinen.
Doch, tun sie. Ratzingers "wartende Herrenworte" und "heilig, heilig, heilig" für die spätere kirchliche Erfindung der Trinität sind nur 2 Beispiele.

closs hat geschrieben: Wenn Kanoniker von geschichtlichen Abläufen sprechen, meinen sie das, was aus Sicht der "Fügung" in der Welt aufgetreten ist, aus dem man geistige Abläufe von AT und NT verbinden kann - einfacher gesagt: Im Kanon steht alles drin, was man braucht, um die Teleologie der Heilsgeschichte verfolgen zu können.


"Als der Kanon des Alten Testaments festgelegt wurde, war Jesus schon lange tot. Jesus und auch
seine ersten Anhänger hatten sich noch ganz in den Grenzen des Judentums verstanden und wollten
diese keineswegs sprengen. Die Heiligen Schriften der Juden waren auch ihre Heiligen Schriften,
denn sie selbst waren Juden. Heilige Schriften der Christen gab es noch nicht. Zwar kursierten
zwischen den Gemeinden zuweilen Abschriften der Paulusbriefe und in der zweiten Hälfte des ersten
Jahrhunderts entstanden die ersten Evangelien. Doch niemand wäre darauf gekommen, darin heilige
Texte zu sehen. Die Briefe des Paulus waren oft Gelegenheitsschreiben, und Paulus selbst hätte sich
vermutlich vehement dagegen verwahrt, dass fromme Christen seinen Briefen später einmal
quasigöttlichen Charakter zuerkennen würden. Paulus, der betonte, dass nicht der Buchstabe, sondern
der Geist lebendig mache, wäre über die Bibelvergötzung heutiger evangelikaler Christen entsetzt
gewesen, von den Inhalten ihres Glaubens (Trinitätslehre, Zweinaturenlehre etc.) ohnehin. Und was
die ersten Evangelien anbelangte: Hier war die Überlieferung so im Fluss, dass Evangelisten keine
Probleme damit hatten, Worte Jesu bei Bedarf hinzuzuerfinden oder vorgefundene Worte bei Bedarf
wegzulassen. Dies bezeugen die biblischen Evangelien an Hunderten von Stellen, ganz zu schweigen
von den ins Kraut schießenden anderen Evangelien, die es nicht in den neutestamentlichen Kanon
geschafft haben."

Kubitza, Der Dogmenwahn

closs hat geschrieben: Auszudrücklich ist Deiner Kritik zuzustimmen, wenn Kanoniker versuchen, dies pseudo-historisch-kritisch zu begründen - denn es bedarf für die Teleologie des Geistes eben NICHT einer historischen Rechtfertigung (historische Stammbäume, etc.) - hier meine ich, dass Teile der Kirche in ihrer eigenen Heilsgeschichte einfach noch nicht verstanden haben, dass dies der falsche Ansatz ist.
Historisch-kritisch geht das schon mal gar nicht. Es ist die kanonische Exegese, die alle Schrift auf einen Punkt hin konzentriert sehen will, um ein Glaubenskonstrukt rechtfertigen zu können.
Ebenso ist die "geistige" Verbundenheit von AT und NT ein künstlich herbeigeführte.

"Die Frage, auf welche Weise man Altes und Neues Testament als Einheit verstehen kann,
beschäftigt die Theologen immer noch. Sie muss sie auch künftig beschäftigen, denn als „Vater“ Jesu
Christi wird eben der alttestamentliche Gott Jahwe behauptet. Die Frage der Einheit ist jedoch ein
Scheinproblem, das sich auflöst, wenn man auf die dogmatische Nötigung einer Zusammengehörigkeit
verzichtet. Es gibt keine gemeinsame innere theologische Verbindung zwischen AT und NT,
jedenfalls keine, die über natürliche überlieferungsgeschichtliche Bedingungen hinausgeht. Keine
Heilsgeschichte, kein Geschichtsschema von Verheißung und Erfüllung, von Gesetz und Evangelium,
kein Christusereignis als Mitte der Zeit; all dies sind Scheinlösungen für ein Scheinproblem.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts denkt man in der Theologie auch religionsgeschichtlich. Noch
länger betrachtet man auch die biblischen Texte historisch-kritisch. Altes wie Neues Testament sind
religionsgeschichtliche Dokumente bzw. Dokumentensammlungen und sind als solche zu untersuchen.
Ein Orientalist, der indische Texte aus verschiedenen Epochen analysiert, macht sich unglaubwürdig,
würde er (etwa weil er selbst Hindu ist) neben überlieferungsgeschichtlichen Aspekten auch
religiöse Prämissen mit einbauen, und statt die Texte kritisch zu scheiden, sie dogmatisch zu
verklammern. Dabei kommt Religion, aber keine Wissenschaft heraus. Persönliche Glaubensfragen
und aus der religiösen oder politischen Dogmatik aufgenötigte Geschichtskonstruktionen haben in der
Wissenschaft nichts verloren. Auch deshalb ist die Theologie keine Wissenschaft.
Zum Ideal der Vorurteilslosigkeit und einer religiös ausgenüchterten Forschung bekennen sich
vorderhand zwar auch unsere Theologen. So schreibt Joest sehr deutlich und richtig:
„Das Alte Testament ist zu lesen als Dokument der Religionsgeschichte seiner Zeit, nicht als
verschlüsselte Vorausdarstellung einer künftigen Zeit.“ Und einige Seiten weiter: „Dass
Jesus das Wort Gottes, die Selbstzusage des Gottes Israels in Person ist, ist aus dem
alttestamentlichen Zeugnis nicht ableitbar.“
Für solche Sätze wäre er im Mittelalter möglicherweise noch verbrannt worden. Heute formulieren
solche Sätze Ergebnisse der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, zu der sich auch Theologen
bekennen können."

Kubitza, Der Dogmenwahn
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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