closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben: bis auf die Kriege, die erklärtermaßen im Namen eines Gottes und einer Religion geführt werden, weil man die eigene göttliche Wahrheit für einzigartig hält und es nicht erträgt, dass es noch eine andere göttliche Wahrheit geben können soll.
Stimmt - welchen bedeutenden Krieg in Europa betrifft das seit den Bauernkriegen (die im übrigen im wesentlichen Sozial-Kriege waren)?
Egal wie - die Frage bleibt: Wann fand in den letzten Jahrhunderten ein bedeutender europäischer Krieg aufgrund von "religiösen Erleuchtungen" in Europa statt?
In Europa fand nach den Bauernkriegen gar kein im Namen des christlichen Gottes und seiner göttlichen Wahrheit durchgeführter größerer Krieg mehr statt.
Darin besteht ja gerade der durch die europäische Aufklärung durchgesetzte Fortschritt!
"Zum ewigen Frieden" ist eine kleine Schrift, die sich eben nicht in den heiligen Werken des Christentums findet, und sie ist auch kein Konzilsbeschluss katholischer Bischöfe. Es ist die 1796 verfasste Schrift eines kleinen zerbrechlichen Mannes gewesen, der Königsberg nie in seinem Leben verlassen hat, aber fest davon überzeugt war, dass der Mensch endlich zu seiner Vernunft finden sollte, die sein eigentliches Wesen ausmacht.
closs hat geschrieben:Das mit der "Vernunft" ist dagegen so eine Sache: Frage mal Friedrich den Großen, ob er seine Kriege "vernünftig" fand - wahrscheinlich wird er "Ja" sagen. - Oder frage die Amerikaner, ob sie Kriege im Namen der Demokratie für "vernünftig" halten - vermutlich ja.
Selbstverständlich können Kriege vernünftig sein. Deshalb werden sie aber nicht im Namen der Vernunft geführt. Bei religiösen Kriegen geht es dagegen immer um den Wahn, sich im Besitz göttlicher Wahrheit zu befinden, die die göttliche Wahrheit anderer Erleuchteter ausschließt. Der Wahn von Erleuchteten, es könne keine andere Erleuchteten geben, die ebenso wahrhaft erleuchtet sind, wie sie selbst, bedingt, dass sie alle anderen Erleuchteten unbedingt ausrotten möchten.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben: Es ist ja gerade die "geistige" Beschränktheit auf den eigenen mit göttlicher Wahrheit verwechselten Blick, die jeden, der sich in Besitz göttlicher Wahrheit wähnt, in die Verdummung treibt.
JEDER, der sich "im Besitz" der Wahrheit wähnt, treibt sich damit in "die Verdummung" - das gilt AUCH für die heutige Form der "Aufklärung", die alles für unwahr hält, was nicht ihrem System entspricht.
Die Vernunft ist kein "System" und wähnt sich nicht im Besitz der Wahrheit. Die Vernunft ist das Prinzip folgerichtigen Denkens und nur durch sie kann tatsächliche Wahrheit überhaupt erst erkannt werden.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Eben deshalb sollte man den Sokrates zugesprochenen Satz "Ich weiß, dass ich nichts weiß" nicht als Bonmot, sondern toternst verstehen, und konsequent beachten - deshalb mein Versuch zu vermitteln, dass der Mensch nicht "wahrheiten", sondern lediglich (auf Basis unterschiedlicher Setzungen/Vorannahmen) "für-wahr-halten" kann. - Ich kann nach wie vor nicht erkennen, was an diesem Anliegen zu kritisieren wäre.
Zu kritisieren ist vor allem, dass Sokrates kein Perspektiven-Relativist wie du war und du seine tiefe philosophische Einsicht gar nicht verstehst.
Sokrates, der Vielwissende, der einsah, dass er im Grunde nichts weiß, wurde vom delphischen Orakel nicht deshalb als der weiseste Mensch ausgewiesen, weil er das relativistisch gemeint hätte. Sokrates hatte eingesehen, dass er, obwohl er über ein umfassendes Wissen seiner Zeit verfügte, das Universum des möglichen Wissens in seinem Leben niemals würde überblicken können. Nur deshalb musste er sich eingestehen, im Grunde nichts zu wissen, gemessen an dem, was zu wissen möglich ist. DAS machte ihn zum weisesten aller Menschen.
Er bekundete seine Einsicht nicht, weil er etwa meinte, er könne nicht zu sicherem Wissen gelangen. Das ist nur deine perspektiven-relativistische Fehlinterpretation. Sokrates war kein Sophist. Die behaupteten, man könne die Wahrheit nicht erkennen.