Parusieverzögerung III

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Pluto
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#1551 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von Pluto » Do 3. Sep 2015, 20:22

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Die "historischen Rekonstruktionen", die ich so kenne, bewegen sich eigentlich alle im Rahmen der durch die Naturwissenschaften bekannten Naturgesetze.
Wenn es Ansätze gibt, die naturwissenschaftlich greifbar sind (Archäologie, etc.), ist das üblich - nur: Wo gäbe es bei der Parusiefrage solche Ansätze? - Die Datierungen der Abschriften werden mithilfe der Wissenschaft weitestmöglich bestimmt - aber ansonsten ist es doch im wesentlichen Textarbeit - oder nicht?
Da stimme ich dir 100% zu.
Deshalb diskutieren wir hier auch den Inhalt der Schrift, und versuchen nicht darüber zu spekulieren, was nicht in der Bibel steht.
Wenn man die Reden von Jesus interpretiert, kommt man nicht umhin zu glauben, es handle sich beim frühen Christentum um eine "Endzeit-Religion".

closs hat geschrieben:FALLS der Historiker ein Materialist/Atheist/etc. ist, wird er klammheimlich oder offen davon ausgehen, dass es Wunder historisch nicht geben KANN
Wenn ein Historiker so handelt, dann ist das nicht wissenschaftlich. Ich erinnere daran, dass es die Pflicht eines Wissenschaftlers ist, ergebnisoffen zu forschen.

closs hat geschrieben:Das Problem: Naturwissenschaftlich ist ja nichts greifbar, wenn Jesus über den See läuft oder 1000 Leute mit einem Brot speist.
Selbstverständlich ist das greifbar. Es gibt Hypothesen (Jesus gin auf einer Salzkruste, Jesus bekam Nachschub vom Bäcker, etc.).

closs hat geschrieben:Als Geschichtswissenschaftler muss man prinzipiell auch Wunder für möglich halten, sonst ist man Typus 1, also nicht ergebnisoffen.
Richtig!
Nur.... wo sind die Belege für diese Wunder?

Das Gegenteil ist doch der Fall. Selbst den weltweit berühmtesten Ort wo heute noch Wunder geschehen sollen, lässt sich ebensogut statistisch mit Spontanheilungen oder Scheinkrankheiten erklären. Die Rede ist von Lourdes, dessen Wunderheilkraft ohnehin größtenteils aus einer Lüge entstand: die sichtbaren Körperteile der angeblich friedlich schlafenden Heiligen Bernadette sind aus Wachs gefertigt.

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben: Hat die Geschichtswissenschaft den Anspruch, Kohärenz zu anderen Wissenschaften inkl. der Naturwissenschaften herzustellen?
Hoffentlich nicht...
Das wäre allerdings ungewöhnlich.
Es ist gerade die Stärke der Naturwissenschaften, dass sich ihre Theorien gegenseitig stützen, also voneinander abhängig sind. Bringt man einen Teil zum Einsturz, hat das enorme Konsequenzen auf unser gesamtes Wissen.

closs hat geschrieben:Bisher kann ich nicht feststellen, dass die historisch-kritische Hermeneutik (nicht zu verwechseln mit Methodik) diesem Ideal gerechter werden könnte als die kanonische Hermeneutik.
Du führst einen neuen Begriff ein? Was verstehst du unter historisch-kritischer Hermeneutik?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#1552 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von closs » Do 3. Sep 2015, 20:46

Pluto hat geschrieben:Wenn man die Reden von Jesus interpretiert
Es sei denn,
a) seine Reden wurden nicht zutreffend interpretiert (Stichwort: "Paradigmenwechsel von AT auf NT), und
b) wir interpretieren das richtig, was vorliegt.

Persönliche Bemerkung zu b):
Lange, bevor ich wusste, dass es eine Naherwartungs-Diskussion überhaupt gibt, habe ich das NT in Sachen Parusie sowohl innerlich nah (siehe Lukas 17,19ff) als auch zeitlich fern (Apokalypse) verstanden - ganz einfach spontan. - Wenn man im Kontext und geistig disponiert liest, kommt man zu nichts anderem. - Mein ausdrücklich parteiischer Eindruck ist, dass die Naherwartungs-Diskussion Ausdruck einer geistiger Dysfunktion ist - aber das ist wirklich eine persönliche Meinung.

Pluto hat geschrieben:Ich erinnere daran, dass es die Pflicht eines Wissenschaftlers ist, ergebnisoffen zu forschen.
Das unbewusste ist der Feind. - Ein Wissenschaftler, der für sich Wunder für nicht möglich hält, wird so lesen und interpretieren.

Pluto hat geschrieben:Selbstverständlich ist das greifbar. Es gibt Hypothesen (Jesus gin auf einer Salzkruste, Jesus bekam Nachschub vom Bäcker, etc.).
Man versucht damit, ein Gelesenes nach heutigem Weltbild zu erklären (das ist ja ok). - Aber dahinter steckt auch (bewusst?/unbewusst?), dass es eine naturwissenschaftliche Erklärung welcher Art auch immer geben muss - oder nicht?

Pluto hat geschrieben:Nur.... wo sind die Belege für diese Wunder?
Kannst Du mir sagen, wie man "Wunder" im Sinne der Wissenschaft (intersubjektiv kommunizierbar) belegen soll? - Geht das überhaupt?

Pluto hat geschrieben:die sichtbaren Körperteile der angeblich friedlich schlafenden Heiligen Bernadette sind aus Wachs gefertigt.
Wird vorgegeben, es sei der echte Körper?

Pluto hat geschrieben:Es ist gerade die Stärke der Naturwissenschaften, dass sich ihre Theorien gegenseitig stützen
Wenn's geht, ist das doch gut - aber man darf es nicht als Misserfolg ansehen, wenn es nicht geht. - Hier klappert wieder eine Schere im Kopf: "Wenn etwas naturwissenschaftlich nicht stützbar ist, dann ist es zu verwerfen".

Pluto hat geschrieben:Du führst einen neuen Begriff ein? Was verstehst du unter historisch-kritischer Hermeneutik?
Eine historisch-kritische Haltung, die nicht nur historisch-kritisch forscht (das tun Kanoniker auch), sondern auch historisch-kritisch interpretiert.

Ich gestehe, dass mir der Übergang zwischen Exegese und Hermeneutik in der Praxis nicht klar genug ist - deshalb interpretiere ich den Unterschied so , wie wir es gelernt haben - nämlich mit den Zuordnungen "Exegese = ergebnis-offene Forschung" und "Hermeneutik ist weltanschauliche Interpretation".

Der Satz "Jesus hatte eine/keine Naherwartung" ist in beiden Fällen KEINE exegetische Aussage, sondern eine hermeneutische Aussage. - Gerne lasse ich mich eines Besseren belehren von jemandem, der nicht nur zitiert, sondern selber diesbezüglich einen Plan hat. - Für mich ist dieser wissenschafts-theoretische Komplex in Teilen noch undurchsichtig.

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Halman
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#1553 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von Halman » Do 3. Sep 2015, 21:05

@closs

Da mich das Thema Exegese und Hermeneutik interessiert und ich besser verstehen will, was damit eigentlich genau gemeint ist, schaue ich im Internet. Hier ein kleiner Fund von mir:
- Wie verstehe ich die Bibel – und warum? Die eigene „hermeneutische Brille“ erkennen
- Hermeneutik als „Kunst und Wissenschaft der sachgemäßen Auslegung der Bibel“ verstehen
- Den Einfluss von Kultur, Zeit, Sprache, Weltanschauung auf die Auslegung der Schrift entdecken
- verschiedene Interpretationsansätze kennen und bewerten lernen.
- Umgang mit Grundwerkzeugen des Schriftverständnisses und Hilfsmittel zur Schriftauslegung (z.B. Konkordanzen, Wörterbücher, Übersetzungsvergleiche) entdecken und anwenden
- exegetisches Arbeiten kennenlernen und einüben
Zitatquelle: http://grundkurs-theologie.de/wp_super_ ... k-seminar/

Ist dies hilfreich?

Eben habe ich noch einen Buch-Link gefunden, in den auch der von Dir verwendete Begriff "historisch-kritische Hermeneutik" verwendet wird:
https://books.google.de/books?id=DxHpje ... se&f=false
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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Münek
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#1554 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von Münek » Do 3. Sep 2015, 22:27

Samantha hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Es ist bekannt, dass nachdem die Aussagen Jesus' selbst zur Naherwartung nicht eintrafen, spätere Schreiber wohl die ganze Parusie in weiter Ferne gerückt hatten, um die "Ehre" des Heilands nicht zu verletzen.

Es scheint als wolle man selbst heute noch lieber die Augen zu den frühen Aussagen (Naherwartung) verschließen.
Dies ist eine falsche Interpretation Deinerseits. Die Schreiber wussten, wer Jesus wirklich ist - sie glaubten nicht nur. Es muss daher keine Ehre eines einfachen Menschen gerettet werden. Die Naherwartung ist 2teilig - ein Teil zu Lebzeiten ... der Rest später, also in weiter Ferne auch möglich. Es ist wie bei den Gleichnissen und dann ganz einfach verständlich.

Nein, Jesus verkündete die Nähe nur EINES Gottesreiches.

Durch seine Tätigkeit als Dämonenaustreiber und Wunderheiler zeigte er, dass das Gottesreich punktuell bereits präsent ist,
die Vollendung der Gottesherrschaft aber nahe bevorsteht (innerhalb der gegenwärtigen Generation).

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#1555 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von closs » Do 3. Sep 2015, 23:16

Halman hat geschrieben:Ist dies hilfreich?
Sehr sogar - und zwar deshalb, weil es deutlich macht, dass meine Frage damit gerade NICHT beantwortet wird - ich stelle Dir mal was von wiki gegenüber: "Exegese (altgriechisch ἐξήγησις exÄ“gesis ‚Auslegung‘, ‚Erläuterung‘) ist die Auslegung bzw. Interpretation von Texten. Die zentralen Aussagen, Inhalte und Strukturmerkmale eines Textes sollen für den Leser verdeutlicht und zugänglich gemacht werden".

In Deiner und meiner Quelle wird das Wort Auslegung und Interpretation benutzt - somit legen sowohl Exegese als auch Hermeneutik aus und interpretieren. - Warum dann der Unterschied?

Eine etwas theoretische Antwort darauf steht bei wiki: "Exegese ist die praktische Auslegung eines (biblischen) Textes, Hermeneutik beleuchtet und klärt die Voraussetzungen und die Ziele einer Auslegung". - Demnach wäre Hermeneutik so etwas ähnliches wie ein Prämissen-Verwalter. - Irgendetwas passt da nicht.

Folgendes macht es wieder etwas klarer und gleichzeitig geradezu hoffnungslos: "Wenn Philippus im obigen Beispiel dem Kämmerer den Text erklärt, betreibt er Exegese; dabei hat seine Erklärung eine bestimmte Hermeneutik zur Grundlage: Ein alttestamentliches Prophetenwort ist für ihn von Christus her zu verstehen. Ein rabbinischer Jude sähe das anders und würde daher den Text anders auslegen". - Aha - demnach sind Exegese und Hermeneutik nicht zu unterscheiden, weil die Exegese Folge der jeweiligen Hermeneutik ist. - Das erinnert an Heine: "Ich (Exegese) bin die Tat von Deinem Gedanken (Hermeneutik)".

Dies hieße - Achtung! - , dass Exegese entgegen meines ausdrücklichen Wunsches :lol: ein Prämissen-Lieferant ist, also von vorneherein weltanschaulich kontaminiert ist. - Mir wäre lieber, wenn Exegese als rein wissenschaftliche Disziplin erschiene, der die Hermeneutik folgt, in der "Philippus (HKM) anders auslegt als ein rabbinischer Jude (Kanoniker)".

PS: Leider haben wir dieses Thema jetzt gleichzeitig auf zwei Threads - sorry.

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#1556 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von Münek » Do 3. Sep 2015, 23:17

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wenn man die Reden von Jesus interpretiert
Es sei denn,
a) seine Reden wurden nicht zutreffend interpretiert (Stichwort: "Paradigmenwechsel von AT auf NT), und
b) wir interpretieren das richtig, was vorliegt.

Die Evangelisten haben Jesu Heilsbotschaft nicht "interpretiert" oder "rezipiert", sondern wörtlich wiedergegeben.
Blättere mal nach...

Deinen immer wieder angeführten "Paradigmenwechsel von AT zu NT" (was soll das eigentlich sein? :o ),
der angeblich von Rezipienten nicht verstanden worden sein soll, kannst Du vor diesem Hintergrund knicken.

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#1557 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von closs » Do 3. Sep 2015, 23:20

Münek hat geschrieben:Die Evangelisten haben Jesu Heilsbotschaft nicht "interpretiert" oder "rezipiert", sondern wörtlich wiedergegeben.
Das glauben einige christlichen Fundamentalisten auch. - Wie willst Du eine solche Aussage auch nur im Ansatz wissenschaftlich begründen?

Münek hat geschrieben:Deinen immer wieder angeführten "Paradigmenwechsel von AT zu NT" (was soll das eigentlich sein? :o ),
Als Kanoniker würdest Du es wissen: "Manche Bibelausleger haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Texte im Zusammenhang der ganzen Bibel zu verstehen und zu deuten (kanonische Exegese)." (wik)

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#1558 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von Münek » Do 3. Sep 2015, 23:25

closs hat geschrieben:Eine etwas theoretische Antwort darauf steht bei wiki: "Exegese ist die praktische Auslegung eines (biblischen) Textes, Hermeneutik beleuchtet und klärt die Voraussetzungen und die Ziele einer Auslegung". - Demnach wäre Hermeneutik so etwas ähnliches wie ein Prämissen-Verwalter. - Irgendetwas passt da nicht.

Doch, es passt ganz genau. Nur den "Verwalter" kannst Du ruhig weglassen.

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#1559 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von Andreas » Do 3. Sep 2015, 23:56

Halman hat geschrieben:Ist dies hilfreich?
Nicht wirklich, da das von einer charismatisch-evangelikalen Site stammt. Ihre Art der Bibelauslegung orientiert sich eher nicht an der HKM um die es hier geht. Da wäre etwas universitäres hilfreicher.

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#1560 Re: Parusieverzögerung III

Beitrag von Münek » Do 3. Sep 2015, 23:57

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Die Evangelisten haben Jesu Heilsbotschaft nicht "interpretiert" oder "rezipiert", sondern wörtlich wiedergegeben.
Das glauben einige christlichen Fundamentalisten auch. - Wie willst Du eine solche Aussage auch nur im Ansatz wissenschaftlich begründen?

Da gibt es nichts wissenschaftlich zu begründen.

Ich wollte lediglich den Unterschied klarmachen zwischen "wörtlicher Wiedergabe eines gesprochenen Wortes" und einer bloßen Rezeption angeblicher Gedanken und Worte.

Eine bloße Rezeption wäre etwa der Text: "... und Jesus predigte dem Volk die Nähe des Gottesreiches..." Hier könnte man fragen, hat Jesus das wirklich gesagt, haben ihn die Zuhörer, die Tradenten, der Evangelist nicht etwa missverstanden...?

Siehst Du den Unterschied?

Die wörtliche Botschaft - nicht deren Rezeption - ist uns in der Evangelien überliefert worden. Und die neutestamentliche Wissenschaft bemüht sich um die Frage, ob diese in den Evangelien dokumentierten Worte Jesu "echt" sind oder nicht nicht. Das Ergebnis in diesem Fall: "Ja, die Worte Jesu sind mit hoher Wahrscheinlichkeit historisch und damit authentisch."

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